Italienische Verführung
hatte Italien in seinen ganzen achtundzwanzig Jahren nicht ein Mal verlassen. Er lebte hier höchst zufrieden unter der wärmenden Sonne und in der temperamentvollen Familie seiner Mutter.
„Ich habe kein Milchgesicht, Lucia“, erwiderte er aufbrausend. „Noch bin ich scheinheilig oder anmaßend oder benehme mich so schlecht wie diese umherreisenden Engländer.“
„Aber wer weiß, vielleicht wirst du noch wie dieser aufgeblasene Bursche enden, den wir heute oben auf dem Balkon sahen“, neckte sie ihn, während sie lange Granatohrringe anlegte. „Noch ein, zwei Jahre, und du wirst genauso aussehen, Antonio. Deine Weste wird über deinem Bauch spannen und dein Gesicht käsig und selbstgefällig ausschauen.“
Anthony wusste sofort, welchen Mann sie meinte. Er hatte sich über den Balkon seiner Unterkunft gelehnt und finster und voller Missfallen heruntergeblickt, als er selbst und Lucia mit zwei ihrer Freundinnen über die Piazza di Spagna gefahren waren, auf dem Weg zu einem improvisierten Picknick in den Hügeln.
„Dieser Engländer ist jünger als ich“, sagte er und klopfte stolz auf seinen flachen Bauch. „Lord Edward Warwick. Er ist erst seit einem Monat in Rom, glaubt aber, er würde die Stadt und deren Geheimnisse besser kennen als jeder Römer. Letzte Woche wurde ich ihm von einem Freund vorgestellt, und ich habe nicht den Wunsch, ihm noch einmal zu begegnen.“
„Von der Dame, die bei ihm stand, würdest du das aber sicher nicht sagen.“ Endlich fertig, erhob Lucia sich mit einem spöttischen Lächeln von der Sitzbank. „Du kannst es nicht leugnen, Antonio. Dazu kenne ich dich zu gut. Ich habe sehr wohl bemerkt, wie du sie angesehen hast und sie dich.“
„Ich leugne es auch gar nicht.“ Er trank mit Genuss seinen Rest Wein aus und dachte an das Mädchen, das auf dem Balkon neben Warwick gestanden hatte. Natürlich war auch sie Engländerin. Andere Ausländer als Engländer hatten noch nie an der Piazza di Spagna logiert. Und außerdem hatte sie in jener typisch steifen Art am Geländer gestanden, die offensichtlich ein Merkmal wohlerzogener englischer Damen war.
Im weichen Licht der Sonne, die durch die Regenwolken gebrochen war, hatte ihr Haar wie poliertes Gold geglänzt. Ohne eine Spur von Schminke besaß ihre Haut jene köstliche Mischung aus Creme und Rosa. In seinen Augen waren zu viele Landsleute seines Vaters blass und farblos, als hätte man sie in dem scheußlichen, regnerischen Klima ihres Landes draußen stehen lassen, wo sie verblassten und verwelkten. Doch dieses Mädchen brachte es fertig, blass zu sein, ohne blässlich zu wirken, zerbrechlich zu erscheinen, ohne dabei die Aura der Leidenschaft, des Verlangens zu verlieren. Kurz bevor die Kutsche um die Ecke gefahren war, hatte er selbst aus dieser Entfernung die Leidenschaft und das Verlangen gesehen – nein, gespürt.
Er hatte mehr gewollt. Wollte es noch immer.
„Bedenke es zwei Mal und dann noch einmal, Antonio“, warnte Lucia. Sie reichte ihm ihren Merinoschal und drehte sich dann mit der wohl kalkulierten Grazie einer Schauspielerin um. „Wird sie den Ärger wert sein, den sie dir machen wird?“
Er nahm den Schal und legte ihn ihr um die Schultern. „Wer sagt denn, dass sie mir Ärger machen wird?“
„Ich sage es“, erwiderte Lucia und wandte sich ihm noch einmal zu. „Ich meine es ernst, mein Lieber. Sie ist Engländerin. Sie ist eine Dame. Sehr wahrscheinlich ist sie noch Jungfrau. Um sie herum wird es Männer geben, einen Vater, einen Bruder, einen Liebsten, die über ihre Unschuld wachen. Das wird dein Problem sein.“
Lächelnd strich er ihr über die sanft geschwungene Nase. „Du machst dir zu viele Sorgen, meine Liebe.“
Sie schlug ihm leicht auf die Hand. „Ich kenne dich zu gut.“
„Und sie kennt mich überhaupt nicht, die Arme.“
„Wenn du mit ihr fertig sein wirst, wird sie wünschen, dich nie gekannt zu haben“, prophezeite Lucia düster. „Denn du hinterlässt bei jeder Frau Spuren.“
In spöttischem Erstaunen hob er die Brauen. „Ich kann mich nicht erinnern, dass du je zuvor darüber geklagt hast.“
„Dreh mir nicht die Worte im Mund herum, Antonio“, fauchte sie ihn an. Lucia mochte singen wie ein Engel, doch die Eingebung zu allem anderen, was sie tat, erhielt sie eher vom Teufel als von göttlichen Mächten. „Als ich noch mit dir zusammen war, habe ich mich nie beschwert, das weißt du genau. Und ich werde jetzt nicht damit anfangen. Für dich ist die Liebe nur
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