Ja Mei - Wie Ich Lernte, Die Ehe Zu Schliessen
andererseits sind Roni und ich jetzt einfach weniger entspannt, weil wir nie wissen, wann Jochen hereingeplatzt kommt, um von den Segnungen der 80-Stunden-Woche zu dozieren. Roni bietet mir schon verdächtig oft an, auch mal eine Nacht bei Nunja und Jan zu schlafen.
Nach zehn Tagen in der Agentur lässt Jochen mich per Mail wissen, er habe drei Claims für Internet-Flatrates verfasst («jetz ins netz», «das neue Rein-raus-Spiel» und «einen drin»), außerdem den Namen für eine positive besetzte Schinkenpizza erfunden («Pro Sciutto») und eine Radiowerbung für einen polnischen Hausmeisterdienst zur Melodie von Tina Turners «What’s love got to do with it» («Vaclav’s gonna deal with it»). Für seinen Einsatz hat man ihm sogar die firmeninterne Auszeichnung «Arbeitstier des Monats» verliehen, eine Plastikameise zum Anstecken.
Das Einzige, wodurch sich Jochen bei Roni und mir in Erinnerung bringt, sind seine Haare in der Dusche, sein schmutziges Geschirr auf der Spülmaschine und Zigarettenstummel in den Blumenkästen. Als er anfängt, Ronis Waschschaum unter der Dusche zu benutzen und sich danach mit ihrem Gesichtshandtuch abzutrocknen, erkenne ich, dass unsere Idylle in Gefahr ist. Ich muss mit ihm reden, aber das ist gar nicht so einfach: Er ist ja kaum da, und seine Kippen, Tassen und Haare verweigern die Aussage. Also schicke ich ihm eine E-Mail mit dem Betreff «Terminanfrage». Um acht Uhr abends ruft mich eine Frau aus der Agentur zurück, die sich als seine Assistentin Bea vorstellt. Sie erklärt mir, dass Jochen gerade ein dringendes Projekt leite, von dem «alles abhängt», weshalb sie nun seine Termine koordiniere. Es klingt, als müsse Jochen die Welt retten und sie habe die Ehre, ihn dabei als Weltrettungsassistentin zu unterstützen.
«In nächster Zeit kann er keine Termine außerhalb der Agentur wahrnehmen.»
«Das habe ich gemerkt», sage ich. «Aber wir müssen reden. Er wohnt bei mir.»
«Ach, du bist dieser Pseudo-Bayer», duzt sie mich unvermittelt. «Jayjay hat viel von dir erzählt»
«Ich kenne keinen Jayjay.»
«Na Jochen! Wir nennen ihn Jayjay. Passt besser!»
So?
«Mach dir keine Sorgen um ihn. Bis der Pitch gewonnen ist, pennt er hier im Office – auf dem Feldbett. Werbung ist ja wie Krieg, haha.»
«Jochen ist Pazifist.»
«Jayjay nicht. Ich schicke morgen einen Kurier vorbei, der holt ein paar Sachen von ihm ab.»
Weil ich einerseits erleichtert bin, das Problem jetzt aber bloß verschoben und nicht erledigt ist, sage ich: «Richten Sie Jayjay bitte aus, falls ihm etwas an unserer Freundschaft liegt, soll er mich zurückrufen.»
«Kannst du ihm dazu nochmal eine E-Mail schreiben?»
«Nein.»
Um Punkt sechs Uhr abends holt ein Fahrer Jochens Sachen ab. Wir geben ihm auch die Pornokiste mit. «Damit Jochen im Feldbett mal auf andere Gedanken kommt», meint Roni. «Das ist ja bestimmt flexibler als dein kaputtes Erbstück.»
Kaum ist der Kurier weg, putzt Roni die Wohnung, als wollte sie auch die letzte fremde DNA-Spur aus unserem Heim entfernen. Und auch ich bin irgendwie erleichtert. Endlich wieder allein! Wir beschließen, uns künftig an die Hausordnung zu halten und keine Mitbewohner mehr aufzunehmen. Höchstens Blumen.
In der kommenden Woche möchte ich täglich in Jochens Agentur fahren, ihn aus den Fängen der kreativen Kapitalisten befreien und ihm freundschaftlich erklären, dass zum Erwachsenwerden eine eigene Wohnung gehört. Doch ich werde abgelenkt: Die Post bringt einen Briefumschlag, dessen Grünton an Exkremente erinnert. Darin steckt eine Karte, auf deren Vorderseite ein Topf voll Kohl abgebildet ist. Das sieht ekelhaft aus, man erkennt gar nicht, worum es geht. Deshalb steht darunter: «Einladung zur Tiefenwalder Grünkohlwanderung 2010». Unterschrieben haben: «Mama & Papa».
Tiefenwalde hat mich gefunden.
Mein Geburtsort ist ein Dorf, friedlich, idyllisch gelegen und peinigend familiär, was nicht zuletzt damit zu tun hat, dass dort fast jeder irgendwie mit mir verwandt ist. Meine Familie ist in allen Mannschaften des FC Rot-Weiß Tiefenwalde vertreten, wer nicht spielt, steht am Rand und feuert an. Weitere wichtige Traditionen sind: Autotuning, Komasaufen und Grünkohlwanderungen. Mindestens jeder zweite Grünkohlkönig ist ein Cousin von mir. Wenn ich Weihnachten zur Stippvisite vorbeischaue, bleibe ich bei meinen Eltern, denn um alle meine Verwandten zu sehen, bräuchte ich etwa ein Jahr, und in der Zeit sind dann schon wieder neue
Weitere Kostenlose Bücher