Ja Mei - Wie Ich Lernte, Die Ehe Zu Schliessen
Vermählung ein Wettschießen aus. Der Sieger bekommt eine dicke, kunstvoll bemalte Holzscheibe. Darauf ist in der Regel eine Frau zu sehen, die in der Hand eine Zielscheibe, zwei Ringe, Herzen oder etwas Ähnliches trägt, durch das sich gut schießen lässt. In Arnis Heimatort, dem oberbayerischen Schachting, dient dieser Brauch der Partnervermittlung. Modell für das Motiv steht traditionsgemäß die schönste unverheiratete Frau des Dorfes. In Schachting gibt es weder Internet-Dating noch Single-Partys – wer das Hochzeitsschießen gewinnt, bekommt die Frau von der Scheibe.
«Deshoib sogt ma aa ‹verschossn›.» Arni lehnt sich zurück. «Die Scheib’n hob i heid no», sagt er stolz. Dann seufzt er. «Die Oide aba aa.»
Walli hat inzwischen die Scheibe mit der Delle aus dem Flur geholt.
«Ach, wie romantisch», findet Roni.
«Ah geh!» Walli wiegelt ab. «Mia duan die Ehen jo ned mehr voiziehen.»
Ach du je! Die beiden sind echt ein abschreckendes Beispiel. Hoffentlich enden Roni und ich nicht eines Tages so. Wir ignorieren den letzten Satz, verstauen die Scheibe vorerst neben der Sitzbank und stoßen mit einigen Wildbacher Magenbittern auf die romantische Liebesgeschichte an. Ein paar Stunden sitzen wir noch beisammen und brechen erst auf, als Walli den Nachtisch aus der Küche bringt: ein Blech voller selbstgebackener Marmeladenplätzchen.
«Des is jetzat a Kopulation», verkündet sie. «Wallis Platzl mit Ronis Schelee. An guadn!»
SERVUS, OIDE FISCHHAUT
(hochdeutsch: Guten Tag, alter Bekannter)
Ich mache nicht mehr gern die Tür auf. Paketboten, Zeugen Jehovas oder Vermieter haben in unserem Nest nichts zu suchen. Bloß meinen unangemeldeten Untermieter muss ich reinlassen, bevor er bei Walli klingelt.
Jochen trägt einen eng anliegenden schwarzen Anzug über einem schwarzen Hemd. Er sieht aus wie eine Mischung aus Johnny Cash und Frédéric Beigbéder, nur ohne Depressionen. Anscheinend will er wirklich Karriere machen. Über der Schulter trägt er einen Seesack. «Grüß deinen Gott!», ruft er und umarmt mich herzlich.
Damit er nicht auf dem Boden schlafen muss, hat Roni meinem Bett eine allerletzte Gnadenfrist eingeräumt. Wir haben es für Jochen ins Wohnzimmer gestellt. Neben den Schrank und die Pornokiste.
Jochen schleudert den Seesack in die Ecke, dann setzen wir uns in die Küche, um von den alten Zeiten zu reden. In Berlin hat sich mal wieder alles, also nichts verändert, in Jochens Kopf schon.
«Ich will kein Schluffi mehr sein. Es wird enger im Schritt – nie wieder weite Hosen. Arbeit ist das halbe Leben. Es geht voran.»
«Jochen, noch so eine Parole und ich lasse dich einweisen.»
«Nein, im Ernst: Die letzten Jahre habe ich brutal vertrödelt. Jetzt will ich mein Leben auf die Reihe kriegen, Erfolg haben – so wie du.»
«Und heiraten?»
«Nee, mein Lieber, ich will mein Leben in die Hand nehmen, nicht aus der Hand geben.»
Puh, ich dachte schon, ich hätte Jochen aus Versehen einer Gehirnwäsche unterzogen. Zum Glück hat er seine liebenswerte Unbekümmertheit nicht völlig verloren.
Am Abend lade ich ihn zu einer Haxe ins Isarstüberl ein. Es ist herrlich, wieder einmal mit dem alten Freund durch die Gegend zu schlendern. Aber ist er überhaupt noch der Alte? Als ich ihn nach dem Essen zu einer kleinen Clubtour überreden will, lehnt er ab: «Nee, lass mal, ich muss morgen früh raus.» Ich halte das für einen Scherz und lache. Jochen nicht. Er lacht ohnehin nicht mehr so viel wie früher.
Als wir nach Hause kommen, höre ich im Treppenhaus lautes Gezeter: «Hau ob! Vaziag di!», kreischt Vermieterin Walli. Kurz darauf stapft Arnie wütend an uns vorbei.
«Servus», schnauzt er, hält einen Moment inne, dann bricht es aus ihm heraus: «Wenn die Oide mi no amoi mit ira bledn Pfeifn weckt, na hol i mei Flintn und daschia s’. Jogdunfoi, sog i. Kimmt voa. Hätt i bloß nia gheirod!» Mit hochrotem Kopf poltert Arnie von dannen.
«Ach, der meint das nicht so», beruhigt mich Jochen und legt mir den Arm um die Schultern. «Wir tun beide das Richtige.»
Roni ist noch nicht zurück. Wir haben sturmfrei, gehen aber trotzdem früh ins Bett. Auch eine Art von Anarchie.
In den nächsten Tagen bekomme ich Jochen so gut wie nie zu Gesicht. Er geht morgens um sieben aus dem Haus, bleibt den ganzen Tag in der Agentur und kommt erst wieder, wenn ich schlafe. Einerseits bin ich froh, weil so die Wahrscheinlichkeit sinkt, dass Walli etwas von seiner Anwesenheit erfährt,
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