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Jack Holborn unter den Freibeutern

Jack Holborn unter den Freibeutern

Titel: Jack Holborn unter den Freibeutern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leon Garfield
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lichtscheuen Grunde entführt, und blickte wie ein Sohn auf die wenigen eleganten Damen, die
    als Kunden kamen. Manche lächelten, manche be-
    klagten sich, aber keine blickte wie eine Mutter zu-rück. Einmal glaubte ich, ich hätte ein Muttermal,
    gleich über meinem Knie, aber das verging durch zu
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    viel Waschen – wie auch meine liebsten Träume. Ich
    hätte niemals den Schuster im Stich gelassen, wenn
    mich diese Träume nicht erst im Stich gelassen hät-
    ten.
    Immerhin hatte ich irgendwo eine Mutter, das war
    todsicher, und wo in aller Welt sie jetzt auch sein mochte, so bat ich sie jetzt um ihren Segen für das Unternehmen ihres vergessenen Sohnes.
    Noch eine Minute, und ich hätte genug Mut, um
    an Deck zu gehen. Aber ich wartete auf jene Minute, in der ich mit Sicherheit gesegnet war.
    Ein wirres Schreien brach an Deck aus. Männer
    rannten aus Leibeskräften über Deck mit Füßen wie
    Donnergepolter. Ein Schiff war Steuerbord voraus
    gesichtet worden. Es schien keine halbe Meile ent-
    fernt zu sein und arg verwüstet vom Sturm. Seine
    Masten waren gebrochen und die Takelage abgeris-
    sen, es lag verzweifelt tief im Wasser. Es zeigte keine Flagge – es gab nichts, woran sie fliegen konnte. Aber gut oder schlecht, englisch oder sonstwas, den Seeleuten an Deck war klar, daß es nicht lange mehr von
    dieser Welt war.
    Die rauhe Stimme des Kapitäns trieb die Männer
    vom Mitleid zur Tat, und ich fühlte die scharfe
    Schräglage, als wir den Kurs nach Steuerbord änder-
    ten. Ich hörte Taue gegen Segel schlagen, was
    manchmal knallen kann wie Musketenfeuer, und ich
    hörte das Ächzen der Segel, als sie den Wind nahmen und wir frohgemut an unser Werk der Barmherzigkeit gingen.
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    Dann wurden die Segel eingeholt, und unsere Fahrt
    verringerte sich, als wir näher kamen. Gleich darauf hörte ich die Wellen gegen die Seiten des anderen
    Fahrzeugs klatschen, mit einigem Überdruß, als wollten sie sagen: »Mit dir bin ich fertig. Warum gehst du nicht auf Grund?« Dann vernahm ich die Greifseile,
    die von Schiff zu Schiff geworfen und festgemacht
    wurden. Ich hörte Männer an Bord klettern: fünf-
    zehn, zwanzig, ja sogar dreißig zählte ich, bis mir der Gedanke kam, daß hier etwas nicht stimmte.
    Denn keiner von ihnen sprach ein Wort. Nur das
    Tapptapp, als ihre Füße auf dem Deck landeten,
    dann nichts. Waren sie so vom Sturm geschlagen und
    zugerichtet, daß sie nicht mehr die Kraft hatten zu danken, zu reden?
    Eine große Unruhe schien auf dem Schiff zu liegen,
    und die Männer der Charming Molly verstummten
    ebenso wie die Fremden. Es war eine sehr bittere Stille, als ein halbes hundert Herzen beim Anblick er-
    starrten, wen sie da gerettet hatten.
    »Nein, du großer Gott!« schrie eine einzelne
    Stimme –
    Wie zur Antwort kam ein knatterndes, tückisches
    Dröhnen, als zwischen dreißig und vierzig Musketen
    und Pistolen in die Bäuche, Köpfe, Herzen und Lun-
    gen der Retter abgefeuert wurden. Eine große Anzahl fiel sofort schwerfällig wie die Säcke und stürzte zwischen die Beine und Füße, die nicht schnell genug waren, sie zu vermeiden. Dann begannen die, die nicht getroffen waren, verzweifelt umherzulaufen, von Sei-11
    te zu Seite oder über Seilrollen zu springen, bis die zu große Eile ihren unseligen Lohn brachte.
    Anfänglich gab es fürchterliches Kreischen und
    Schreien und Wüten gen Himmel, dann nahm das ab,
    als sich das Bedürfnis verringerte und die ermordeten Seeleute verstanden, daß es für sie nichts mehr gab als den Tod. Ein paar übrige Stimmen riefen Frauen-namen mit wehmütiger Inbrunst, bis auch ihnen ein
    lauter und vollständiger Punkt gesetzt wurde. Fünf
    oder sechs Pistolenschüsse beendeten das Ganze, dem jedesmal das übliche Grunzen und der Fall folgte.
    Ein furchtloser Junge hätte sich in dieses Handge-
    menge gestürzt und wäre vielleicht auch am Leben
    geblieben, um davon zu erzählen. Vielleicht. Er hätte mit Zähnen und Nägeln gekämpft und dem Feind ge-schadet, bevor man ihm Einhalt gebot.
    Ein weniger furchtloser Junge blieb, wo er war,
    neun Zehntel seiner Gedanken nacktes Entsetzen –
    und das zehnte Zehntel der Wunsch, irgendwo an-
    ders in der Welt zu sein. Jeder feuchte Fleck, in den seine Hand hineinglitt, kam ihm vor wie Blut, obwohl ganz sicher nur sehr wenig vom Deck in den
    Laderaum getropft ist. Denn die lecken Überreste
    wurden sehr schnell ins Meer befördert – manchmal
    zwei und drei zugleich, so daß man schwer feststellen konnte,

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