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Jack Holborn unter den Freibeutern

Jack Holborn unter den Freibeutern

Titel: Jack Holborn unter den Freibeutern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leon Garfield
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auf, sich zu beruhigen, da der Junge ein armer Kerl sei und mit der unversehrten Leber im
    Körper keinen großen Schaden anrichten würde –
    und mit rausgeschnittener keinen Nutzen. Dann hör-
    te ich Mister Pobjoy schwer gegen das Ende der
    Kombüse taumeln, wo mit Getöse die Kupferkessel
    reichlich über seinem Haupt zusammenstürzten.
    Ich glaube, Mister Morris muß ihn geschubst ha-
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    ben, bin aber nicht sicher. Es ist aber wohl sicher, daß er mir das Leben gerettet hat – wenn er es auch mit gewohnter Unbekümmertheit da ließ, wo es war
    – unter dem Tisch – ohne ihm einen Blick zu gönnen.
    Beim Hinausgehen sagte er nur: »Ich lasse ihn in Ihrer Obhut, Mister Pobjoy. Schlagen Sie ihn nicht tot, ohne mich vorher zu fragen.«
    III
    So war ich also Pobjoys Junge, Pobjoys Fluch, Pob-
    joys Knochenmehl, Pobjoys Hautsack, Pobjoys Maus,
    Pobjoys Ratte geworden: und zuweilen, wenn der
    Gin süß schmeckte, Pobjoys Lehrling und Kind. Die
    Tage streckten sich vor mir so rauh und riesig wie die großen Segel der Charming Molly: es waren tatsächlich Leinwandtage, voll von nichts als dem Wind, der uns antrieb, und ich entdeckte in ihnen, daß alle die düsteren, feindseligen Kains, die im geraubten
    Schiff fuhren, sich nicht so gleich waren, daß man sie nicht hätte unterscheiden können. Sie hatten verschiedene Namen und Vorlieben und wechselnde Zu-
    und Abneigungen füreinander … Außerdem fand ich,
    daß sie nicht alle so schlecht waren, wie sie alle
    schienen: manche waren bestimmt schlechter.
    Da gab es einen gewissen Mister Taplow, einen
    rothaarigen Walliser und eine wandelnde geballte
    Ladung von Haß auf die ganze mickrige Welt. Dann
    gab es die Brüder Fox, Ben und Sam, sehr liebevolle 20
    Söhne einer toten Mutter und eines gehängten Vaters, daher war ihre Liebe im Grab … Und einen Kanonier, namens Clarke, und andere, die mir täglich An-laß gaben, ihnen weniger als Gutes zu wünschen …
    Vom Kapitän war immer noch nichts zu sehen,
    obwohl sein Geist, wie Mister Pobjoy vorausgesagt
    hatte, machtvoll über dem Schiff brütete. So kräftig und zielbewußt blies der Wind, daß er sein Herr zu
    sein schien, während die Männer an Bord wie die
    bösen Kinder eines unsichtbaren bösen Vaters er-
    schienen, von dem sie die Ermächtigung zur Sünde
    ableiteten. So war auch mein Blick nicht der einzige, der zur leeren Schiffstreppe abirrte, und meine Füße nicht die einzigen, die in jenem Teil des Schiffes leise auftraten.
    Es war an meinem vierten Tag an Bord (obwohl es
    eher schien wie mein vierzigster), gerade nach zwölf Uhr mittags – denn die Sonne stand zwischen dem
    Haupt- und dem Fockmast – und ich, ein bißchen
    weiter unten, war zwischen dem Besan- und dem
    Hauptmast. Der Schatten des Hauptmasts war zu
    kurz, als daß ich darin hätte verweilen können, und die Sonne knallte sehr heiß herunter, so daß mir
    schwindlig wurde.
    Ich träumte mit untätigem Schrubber und wurde
    beinahe von der Bewegung des Schiffes in Schlaf ge-
    wiegt, als ein Paar Schuhe meinen Blick kreuzten und anhielten.
    Solche Schuhe hätte ich bei meinem Schuhmacher
    in Holborn nicht einmal mit meinem Lebensodem
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    verunreinigen dürfen! Von feinstem Cordova-Leder,
    das vom Schritt nicht runzlig wurde. Die Schnallen
    waren aus purem Gold und zeugten von jener Art der
    Bescheidenheit, die der äußerliche Schnörkel großen Stolzes ist. Mein Herz fing heftig an zu schlagen, und vergessene Szenen meines vergangenen Lebens blitz-ten an mir vorüber – wie es geschehen soll, wenn einer ertrinkt. Aber obwohl ich in diesem Moment in
    keiner Lebensgefahr schwebte, war ich so übermäch-
    tig erschreckt, daß ich eine Todesgefahr für meine
    Seele ahnte. Ich blickte auf und sah zum ersten Mal den Kapitän der Charming Molly.
    Ich fühlte einen schweren Schock, denn er war gar
    nicht, wie ich ihn mir vorgestellt hatte. Die Sonne be-schien ihn voll und verlieh ihm einen solchen Strah-lenglanz und eine solche Wärme, daß ich in meinem
    Herzen nur ausrufen konnte: »Das ist kein Kapitän
    von Mördern! Nicht dieser gute, gütige, einfach aussehende, gerechte Mann! Er ist irrtümlich an Bord. Er bleibt aus Schwermut über die Bosheit der anderen in seiner Kajüte.« Ich sprang auf die Beine und hätte
    meine Mütze gezogen, wenn ich eine gehabt hätte –
    genau wie Mister Pobjoy prophezeit hatte –, denn
    dieser sauber gekleidete Herr mit kurzgeschnittenem Haar und ländlichgefärbter Haut hatte ein solches
    Gebaren!

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