Jack Holborn
Hand. Seiner schlimmen Hand. Einmal hatte er mit einem Schlachtmesser das oberste Glied seines Zeigefingers abgeschnitten. Als die Wunde heilte, blieb der Stumpf furchtbar empfindlich, ließ ihn grauenhaft schaudern, wenn er berührt wurde. Er konnte es nicht mal aushalten, wenn man darauf hauchte. Mit seiner letzten Kraft richtete er seine guten Finger so auf, daß ich seinen Stumpf nicht berühren sollte. Er ging sehr still davon, schlüpfte einfach fort, als hätte man ihn insgeheim gerufen.
»Augen nach Steuerbord!« Der Schrei kam von oben. Der Holländer war noch auf dem Quermast. Fast geschunden von den wilden Wogen klammerte er sich dort fest.
»Augen nach Steuerbord. Steuerbord! Steuerbord!«
Nicht mehr als hundert Meter entfernt war der wildeste Anblick, den man sich denken kann. Ein anderes Schiff unter schlagenden, zerfetzten Segeln hielt auf uns zu.
»Steuerbord! Steuerbord!« schrie der Holländer, aber es war keiner mehr da, der ihm willfahren konnte. Die Charming Molly war auf Todeskurs, und weder das Geheul des Holländers noch Mister Morris, der am Steuer riß, konnten sie davon abbringen.
Von dem Augenblick, in dem die Esperance gesichtet wurde (denn es war dieses unheilvolle Schiff, das aus dem Dunkel kam wie die entfesselte Rache) bis zum fürchterlichen Augenblick, als sie uns rammte, hätte man langsam etwa bis zwanzig zählen können.
Die Charming Molly machte einen verzweifelten Satz, als wolle sie entrinnen. Aber die riesige und verkommene Esperance, deren Rahen und Schothorn-Verankerung seltsam phosphoreszierten, richtete sich steil vor unserem Steuerbord auf. Dann fiel sie nieder und schlug zu.
Etwa vier Yards hinter mittschiffs fuhr ihr eisenbeschlagener Bug der Charming Molly in die Seite, unterhalb der Wasserlinie. Ihr nackter Bugspriet schlitzte die Wanten mit einem Rasseln weg wie Musketenfeuer, dann reckte sie sich mit einer steigenden Welle und zerdrückte uns wie ein Ei.
Obwohl ihr Fockmast brach und in einem krachenden Gewirr von Segeltuch und Tauen in die Tiefe taumelte, wurde sie von ihrem großen Gewicht und der wilden See weitergetrieben. Unsere Planken barsten auseinander, und selbst unser großer Hauptmast wurde (zum ersten Mal seit seiner Errichtung) bis zum untersten Ende bloßgelegt. Da seine Stützen zertrümmert waren, brach er und riß sich aus seinem Bett im Kiel los.
Dann begann der Rumpf der Esperance, gezackt und geborsten, wo die Charming Molly ihn geküßt hatte, furchtbar zu beben, als bereue sie, was sie getan hatte. Sie begann, sich empor zu heben und zu steigen und versperrte mächtig ragend und schwarz, alle Sicht auf den speienden Himmel. Lautes Saugen und Knistern ertönte unter ihr – laut genug, um das Dröhnen von See und Wind zu übertönen. Das Wasser schien zu sieden, als sie fortfuhr, sich hochzubäumen, und der Lebensodem aus unserem aufgestoßenen Laderaum herausfuhr. Gleichzeitig trafen unter dem Wasser uns vier oder fünf große Hammerschläge, und im nächsten Moment rollten alle Wasser der Welt fort von uns.
Große Wogen brausten und donnerten, um uns zu entgehen, als hätten wir etwas Furchtbares getan. Wellenberge und -täler fielen übereinander in entsetzlicher Eile und überließen uns dem Verderben.
Diese ungeheure Wirkung war von der Unterströmung des Meeres selbst verursacht, die sich in entgegengesetzter Richtung bewegte wie die wilde Oberfläche und die hilflosen Kiele mit sich gezerrt hatte, bis das Doppelwrack in seinem heillosen Gewirr donnernd unterseeische Klippen rammte.
Wir waren gestoppt, und die See stürmte wild vorbei. Strömungen wie sie uns erfaßten, fließen mit großer Kraft durch unterseeische Klippen, denn die nicht wechselnde Flut zwingt das Wasser durch enge Öffnungen und Tunnel, bis es eine unglaubliche Gewalt entwickelt, gegen die selbst Sturmwinde machtlos sind. Mochten sie auch rasen, der Sturm und die beißenden Wellen hatten keine Macht mehr über uns.
»Laß locker! Laß locker!«
Mister Trumpets Stimme: wie zehntausend Meilen entfernt. Er muß minutenlang geschrien haben, bevor ich ihn hörte. Ich sah, daß mein Fuß tief in seinen Ellbogen vergraben war, und er war hinter der Treppe zum Achterdeck festgenagelt. Ich machte Platz, soviel ich es wagte, und er kroch vorsichtig neben mich – als fürchte er, uns vom Felsen wieder flottzumachen und zurück in das schmetternde Meer zu treiben.
»Wenn der Wind nachläßt – sind wir gerettet.«
Seite an Seite lagen wir und starrten
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