Jack Holborn
bedrohliches Grau. Die Seeleute sangen nicht mehr, und zwischen uns und dem Schweigen stand einzig die Stimme des Kapitäns, die immer noch schrie. Sie klang sehr mutig da draußen, ganz allein und bereit, den Kampf mit Wind, Meer und Himmel aufzunehmen; sie klang gerade so, als seien die Chancen gleich verteilt.
Dann sprang uns der Sturm an, der wie ein wildes Tier auf uns gelauert hatte. Man sagt, ein Sturm auf See sei das schlimmste aller Übel. Und das stimmt. Wäre mir nicht schon die ganze Zeit sterbensübel gewesen, wäre ich bestimmt jetzt vor Angst gestorben. Die Wogen wurden Felsbrocken und donnerten gegen unsere Flanken, um eingelassen zu werden, während sich eisiges Wasser durch die oberen Fugen ergoß – obwohl selbst ein Schiffsbaumeister in diesem Düster kaum gewußt hätte, was oben und unten war: denn ich schwöre, daß die Charming Molly oft ganze Minuten lang den Kiel gen Himmel reckte!
Eine gute Halbzeit des Sturmes muß mein Magen jedes Mahl hochgebracht haben, das ich in meinem Leben gegessen habe; eine schlechte Halbzeit lang betete ich um ich weiß nicht was; und die schlimmste Halbzeit (ein Sturm kümmert sich nicht um Arithmetik und hat so viele Hälften, wie er will) lag ich fast tot von einem Schlag jenes undankbaren Sackes, den ich befreit hatte, um mir ein Kissen zu machen.
Als ich wieder zu mir kam, war ich naß und schwach und innen und außen voller Schmerzen. Die Bewegung des Schiffes hatte sich beruhigt, und ich dachte, Gottes Zorn gegen die Welt hätte nachgelassen. Ich hörte wieder Schritte über mir und hörte auch die Seeleute wieder singen.
»Da geht er«, hörte ich den Kapitän sagen, »wie ein großer schwarzer Tiger am Himmel. Seh’n Sie ihn, Mister? Langer Schwanz und eine große Tatze, die runtertropfen ins Meer. Mörderische Bestie!« Der Sturm war an uns vorbei.
Wir fuhren eine Stunde oder mehr auf unserem Kurs, während ich mir überlegte, wie ich mich dem Kapitän und der Mannschaft am besten bekanntmachen sollte. Ich war genügend erholt, um Hunger und Durst zu haben, und sehnte mich nach dem Anblick von See und Himmel. Obwohl ich kaum etwas zu erzählen hatte, blieb mir doch das Wie in der Kehle stecken. Als Träger lediglich eines Kirchspielnamens war ich eine armselige Zugabe zur Besatzung eines jeden Schiffes. Ich dachte daher ein wenig über meine verschwundene Mutter nach und ob sie wohl noch lebte. Das war kein neuer Gedanke, denn er war mir viele Male bei meinem Flickschuster gekommen …
Ich stellte mir vor, ich sei von edlem Blut, aus irgendeinem lichtscheuen Grunde entführt, und blickte wie ein Sohn auf die wenigen eleganten Damen, die als Kunden kamen. Manche lächelten, manche beklagten sich, aber keine blickte wie eine Mutter zurück. Einmal glaubte ich, ich hätte ein Muttermal, gleich über meinem Knie, aber das verging durch zu viel Waschen – wie auch meine liebsten Träume. Ich hätte niemals den Schuster im Stich gelassen, wenn mich diese Träume nicht erst im Stich gelassen hätten.
Immerhin hatte ich irgendwo eine Mutter, das war todsicher, und wo in aller Welt sie jetzt auch sein mochte, so bat ich sie jetzt um ihren Segen für das Unternehmen ihres vergessenen Sohnes.
Noch eine Minute, und ich hätte genug Mut, um an Deck zu gehen. Aber ich wartete auf jene Minute, in der ich mit Sicherheit gesegnet war.
Ein wirres Schreien brach an Deck aus. Männer rannten aus Leibeskräften über Deck mit Füßen wie Donnergepolter. Ein Schiff war Steuerbord voraus gesichtet worden. Es schien keine halbe Meile entfernt zu sein und arg verwüstet vom Sturm. Seine Masten waren gebrochen und die Takelage abgerissen, es lag verzweifelt tief im Wasser. Es zeigte keine Flagge – es gab nichts, woran sie fliegen konnte. Aber gut oder schlecht, englisch oder sonstwas, den Seeleuten an Deck war klar, daß es nicht lange mehr von dieser Welt war.
Die rauhe Stimme des Kapitäns trieb die Männer vom Mitleid zur Tat, und ich fühlte die scharfe Schräglage, als wir den Kurs nach Steuerbord änderten. Ich hörte Taue gegen Segel schlagen, was manchmal knallen kann wie Musketenfeuer, und ich hörte das Ächzen der Segel, als sie den Wind nahmen und wir frohgemut an unser Werk der Barmherzigkeit gingen.
Dann wurden die Segel eingeholt, und unsere Fahrt verringerte sich, als wir näher kamen. Gleich darauf hörte ich die Wellen gegen die Seiten des anderen Fahrzeugs klatschen, mit einigem Überdruß, als wollten sie sagen: »Mit dir bin ich fertig. Warum
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