Jack McEvoy 01 - Der Poet
musste direkt vor dem Apparat sitzen und von Hand umschalten, um alle Berichte mitzubekommen. Er hatte gesehen, wie Detective Thomas aussah. Er war von sämtlichen Sendern interviewt worden.
Gladden lag auf der Couch, zu aufgeregt, um schlafen zu können. Er wollte auf CNN umschalten, hatte aber keine Lust, schon wieder aufzustehen. Er war auf irgendeinem Kabelkanal. Eine Frau mit französischem Akzent bereitete mit Joghurt gefüllte Crêpes zu. Gladden wusste nicht, ob das ein Nachtisch oder ein Frühstück sein sollte, aber es machte ihn hungrig, und er zog in Erwägung, noch eine Dose Ravioli aufzumachen. Doch er entschied sich dagegen. Er wusste, dass er mit seinen Vorräten sparsam umgehen musste. Es lagen immer noch vier Tage vor ihm.
»Wo ist die verdammte Fernbedienung, Darlene?«, rief er.
Er stand auf, schaltete auf CNN um, dann löschte er das Licht und kehrte auf die Couch zurück. Dann dachte er über die vor ihm liegende Arbeit und seine Pläne nach. Sie wussten jetzt über ihn Bescheid, und er musste vorsichtiger sein als je zuvor.
Er versank in eine Art Halbschlaf, seine Augen fielen zu. Doch plötzlich registrierte sein Unterbewusstsein einen Bericht aus Phoenix über den Mord an einem Polizei-Detective. Gladden öffnete die Augen wieder.
29
Am Morgen rief Rachel mich an, noch bevor ich aufgestanden war. Ich schaute verschlafen auf die Uhr und sah, dass es halb acht war. Ich fragte sie nicht, warum sie in der Nacht weder auf meine Anrufe noch auf mein Klopfen reagiert hatte. Ich hatte bereits einen großen Teil der Nacht damit verbracht, darüber nachzugrübeln, und war zu dem Schluss gelangt, dass sie vermutlich gerade unter der Dusche gestanden hatte.
»Bist du wach?«
»Jetzt ja.«
»Gut. Ruf deine Schwägerin an.«
»Wird gemacht.«
»Möchtest du Kaffee trinken? Wie lange dauert es, bis du fertig bist?«
»Ich muss anrufen und dann duschen. Eine Stunde?«
»Dann wirst du allein frühstücken.«
»Okay, eine halbe Stunde. Bist du schon länger auf?«
»Nein.«
»Musst du denn nicht auch noch duschen?«
»Ich brauche keine halbe Stunde, um mich fertig zu machen, nicht einmal, wenn ich frei habe.«
»Okay, okay. In einer halben Stunde.«
Als ich aufstand, entdeckte ich die aufgerissene Kondom- Verpackung auf dem Fußboden. Ich hob sie auf und merkte mir die Marke, da sie diese ja wohl offensichtlich bevorzugte. Dann warf ich sie in den Mülleimer im Badezimmer.
Ich hoffte beinahe, dass Riley nicht zu Hause war, weil ich nicht genau wusste, wie ich ihr beibringen sollte, dass man den Leichnam ihres Mannes wieder ausgraben wollte. Oder wie sie reagieren würde. Aber ich wusste, dass um fünf Minuten vor neun an einem Sonntagmorgen kaum damit zu rechnen war, dass sie sich irgendwo anders aufhielt. Soweit ich wusste, hatten sich ihre Kirchgänge in den letzten Jahren auf ihre Hochzeit und Seans Beerdigung beschränkt.
Sie meldete sich nach dem zweiten Läuten mit einer Stimme, die mir etwas fröhlicher vorkam als in den letzten Wochen. Anfangs war ich nicht einmal sicher, dass sie es war.
»Riley?«
»Jack, wo bist du? Ich habe mir schon Sorgen gemacht.«
»Ich bin in Phoenix. Worüber sorgst du dich?«
»Ach, du weißt schon. Ich wusste nicht, was vor sich geht.«
»Tut mir Leid, dass ich nicht angerufen habe. Es ist alles okay. Ich arbeite mit dem FBI zusammen. Ich kann dir nicht viel erzählen, aber sie beschäftigen sich eingehend mit Seans Tod. Mit seinem und noch ein paar weiteren.«
Ich schaute aus dem Fenster und erkannte die Konturen eines Berges am Horizont. In der Touristen-Broschüre auf dem Nachttisch stand, dass er Camelback Mountain hieß, und der Name passte - er sah wirklich aus wie der Rücken eines Kamels. Ich wusste nicht, ob ich zu viel erzählte. Aber es war kaum damit zu rechnen, dass Riley die Geschichte an den National Enquirer verkaufen würde.
»Äh, es hat sich etwas Neues ergeben. Sie glauben, dass ihnen bei Sean irgendwelche Beweise entgangen sind ... Äh, sie möchten ... Riley, sie müssen ihn aus der Erde holen, um ihn sich noch einmal anzusehen.«
Es kam keine Antwort. Ich wartete eine lange Zeit.
»Riley?«
»Jack, warum?«
»Es würde sehr helfen. Den Ermittlungen.«
»Aber was wollen sie tun? Wollen sie ... ihn noch einmal aufschneiden?«
Die letzten Worte waren nunmehr ein verzweifeltes Flüstern. Mir wurde klar, dass ich den Job, es ihr schonend mitzuteilen, vermasselt hatte.
»Oh nein! Durchaus nicht. Äh, sie wollen nur seine
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