Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jack McEvoy 01 - Der Poet

Jack McEvoy 01 - Der Poet

Titel: Jack McEvoy 01 - Der Poet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Connelly
Vom Netzwerk:
war, warf ich einen Blick auf die Wanduhr und stellte fest, dass es halb zwölf war. Genau der richtige Zeitpunkt für das, was ich tun musste. Von meinem Schreibtisch aus rief ich einen Informanten bei der Polizei an.
    »Hey, Skipper, sind Sie im Hause?«
    »Wann?«
    »Zum Lunch. Es könnte sein, dass ich etwas brauche. Das heißt, ich brauche bestimmt etwas.«
    »Mist. Okay, ich bin hier. Wann sind Sie zurückgekommen?«
    »Heute. Bis nachher.«
    Ich legte den Hörer auf, zog meinen Mantel an und verließ das Gebäude. Ich ging die beiden Blocks bis zur Zentrale der Polizei von Denver zu Fuß, zeigte am Eingang einem Polizisten meinen Presseausweis und fuhr dann hinauf in den dritten Stock zu den Büros des Dezernats für Sonderermittlungen.
    »Ich habe eine Frage«, sagte Detective Scalari, nachdem ich ihm gesagt hatte, was ich wollte. »Sind Sie als Bruder hier oder als Reporter?«
    »Beides.«
    »Setzen Sie sich.«
    Scalari lehnte sich über seinen Schreibtisch, vielleicht, damit ich bewundern konnte, wie meisterhaft er seine Haare verwoben hatte, um die kahle Stelle auf seinem Kopf zu verdecken.
    »Hören Sie, Jack«, sagte er. »Damit habe ich ein Problem.«
    »Was für ein Problem?«
    »Also, wenn Sie als Bruder zu mir gekommen wären, der wissen will, warum er es getan hat, dann wäre das eine Sache, und ich würde Ihnen wahrscheinlich erzählen, was ich weiß. Aber wenn damit zu rechnen ist, dass das, was ich Ihnen erzähle, in der Rocky Mountain News auftaucht, dann halte ich lieber den Mund. Ich habe viel zu viel Respekt vor Ihrem Bruder, um zuzulassen, dass das, was passiert ist, die Auflage Ihrer Zeitung erhöht. Möglicherweise haben Sie diesen Respekt ja nicht.«
    Wir waren allein in einem kleinen Büro, in dem vier Schreibtische standen.
    Scalaris Worte machten mich wütend, aber ich schluckte meinen Zorn hinunter. Ich beugte mich ihm stattdessen entgegen, sodass er mein gesundes, volles Haar sehen konnte.
    »Lassen Sie mich etwas fragen, Detective Scalari. Wurde mein Bruder ermordet?«
    »Nein.«
    »Sie sind sicher, dass er Selbstmord begangen hat?«
    »Ganz sicher.«
    »Und der Fall ist abgeschlossen?«
    »Richtig.«
    Ich zog meinen Oberkörper zurück. »Dann verstehe ich Sie nicht.«
    »Und warum nicht?«
    »Weil Ihre Reaktion unlogisch ist. Sie sagen, der Fall ist abgeschlossen. Trotzdem kann ich den Bericht nicht sehen. Wenn er abgeschlossen ist, dann sollte mir gestattet werden, einen Blick hineinzuwerfen, weil Sean mein Bruder war. Und wenn er abgeschlossen ist, dann bedeutet das, dass ich als Reporter auch keine laufenden Ermittlungen behindere, wenn ich mir den Bericht ansehe.«
    Ich ließ ihn das ein paar Augenblicke lang verdauen.
    »Also«, fuhr ich schließlich fort, »gibt es Ihrer eigenen Logik zufolge keinen Grund, weshalb es mir nicht gestattet werden sollte.«
    Scalari sah mich an. Er konnte seinen Zorn nur mit Mühe beherrschen.
    »Hören Sie, Jack, in dieser Akte stehen Dinge, die besser unbekannt bleiben und keinesfalls veröffentlicht werden sollten.«
    »Ich glaube, das kann ich besser beurteilen, Detective Scalari. Er war mein Bruder. Mein Zwillingsbruder. Ich habe nicht vor, ihm wehzutun. Ich versuche lediglich, für mich selbst etwas Sinn in die Sache zu bringen. Wenn ich danach darüber schreiben sollte, dann deshalb, um es zusammen mit ihm endgültig zu begraben. Okay?«
    Wir starrten einander an. Jetzt war er an der Reihe, und ich wartete.
    »Ich kann Ihnen nicht helfen«, sagte er schließlich. »Selbst, wenn ich es wollte. Der Fall ist abgeschlossen. Die Akte befindet sich bereits zur Verarbeitung im Archiv. Wenn Sie sie haben wollen, müssen Sie sich an die Leute dort wenden.«
    Ich stand auf.
    »Danke, dass Sie mir das gleich zu Beginn unseres Gesprächs erzählt haben.«
    Ich ging ohne ein weiteres Wort hinaus. Ich hatte geahnt, dass Scalari mir die kalte Schulter zeigen würde. Ich war zu ihm gegangen, weil ich den Schein wahren musste und weil ich erfahren wollte, wo sich die Akte befand.
    Ich ging die Treppe hinunter, die gewöhnlich nur von Cops benutzt wird, und machte mich auf den Weg zum Büro des Captains, der für die Verwaltung der Polizeizentrale zuständig war. Es war Viertel nach zwölf und der Schreibtisch im Empfangsbereich folglich leer. Ich ging daran vorbei, klopfte an und wurde aufgefordert, einzutreten.
    Captain Forest Grolon saß an seinem Schreibtisch. Er war so groß, dass der normale Dienstschreibtisch vor ihm aussah wie ein Kindermöbel. Er

Weitere Kostenlose Bücher