Jack Morrow und das Grab der Zeit: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
sagte Monty streng.
»Für wie lange?«
Monty nahm den leeren Suppenteller. »Du solltest dich anziehen.«
Als Jack die neuen Sachen anhatte – das wertvolle Buch im mer noch sicher in der Hosentasche verstaut –, kehrte Monty mit einem zusammengerollten Blatt Papier zurück, das er auf dem Tisch ausbreitete.
»Ich habe mir ein paar Gedanken über deine Situation gemacht«, sagte er.
»Welche Situation?«
»Die Tränentunnel, mein Guter, die Tränentunnel. Du bist bereits eine große Strecke stromabwärts gereist. Der Tränentunnel könnte instabil sein. Es gibt vielleicht andere Möglichkeiten.« Er zeigte auf das Blatt.
»Was ist das?«, fragte Jack.
»Ein Plan! Ein Plan mit den Grabstellen auf dem Friedhof. Inklusive Sterbedaten. Ein anderer Tränentunnel ist vielleicht stabiler – falls wir einen finden.«
Auf dem Plan waren lauter Reihen von Rechtecken einge zeichnet. Jedes enthielt einen Namen, ein Datum und eine Nummer.
»Aha!«, rief Monty, nachdem er den Plan eine Weile stu diert hatte. »Dieser hier könnte passen!« Er tippte auf eine der Grabstellen auf der rechten Seite des Friedhofs. »3. Januar 1813, ein Mädchen, das nur fünf Jahre alt geworden ist.«
»Der Dritte?«, wiederholte Jack. »Das wären …« Er versuchte die Tage im Kopf auszurechnen.
»Zehn Tage«, sagte Monty prompt. »Du wärest ganze zehn Tage im Jahr 1813 auf dich allein gestellt. Eine einschüchternde Herausforderung, oder?«
Jack rieb sich das Kinn und überlegte fieberhaft. Das wäre die größte Herausforderung seines Lebens.
»Der Winter wird hart sein, du wirst dir Essen und eine Unterkunft besorgen müssen, irgendeinen Ort, wo du bleiben und auf den 13. warten kannst. Ich würde dir von dem Versuch abraten, irgendetwas mit durch den Tränentunnel zu nehmen. Deine Reise ist schon ohne zusätzliche Komplikationen gefährlich genug. Du wirst dir etwas einfallen lassen müssen.« Monty grinste.
Jack zögerte. Die Aufgabe überstieg seine Kräfte. Er öffnete den Mund, und dann fielen ihm die Erinnerungen ein, die Davey unabsichtlich mit ihm geteilt hatte, die Eindrücke von einer schweren Kindheit, in der sein Freund Schlimmeres hatte ertragen müssen, als ihm jetzt bevorstand. Und aus diesen Erinnerungen gewann er ein neues Verständnis, eine neue Entschlossenheit, die ihn dazu drängte, sich in die unbekannte Vergangenheit zu stürzen.
»Na schön«, sagte er, bevor er es sich anders überlegen konnte. »Ich mach’s.«
Monty zog die Augenbrauen nach oben. »Im Ernst? Du stellst eure Freundschaft über deine eigene Sicherheit, Jack?«
Jack nickte entschlossen.
»Du gehst sehr großzügig mit deinem Leben um.« Monty klang erstaunt. »Du stellst dich gegen Rouland, obwohl du weißt, wie sinnlos das ist, und riskierst jetzt sogar alles für einen gestrandeten Freund.«
»Würden Sie das nicht tun?«
»Nein. Du und ich, wir ähneln uns überhaupt nicht, kein bisschen.« Monty stockte, ihm stand sein Erstaunen auf die Stirn geschrieben. »Du bist so jung, hast so viel zu verlieren, und ich bin ein alter Mann, der nichts hat als das, was man kaufen und verkaufen kann. Du verwirrst mich, junger Jack.«
Jack stand auf, um zu gehen. Im selben Moment versperrte Monty ihm den Weg, seine Unsicherheit wie weggewischt. »Falls du es schaffst«, sagte er nachdrücklich, »falls du es tatsächlich dorthin zurückschaffst und Davey findest, dann lass dir das Buch geben.« Er lächelte schief. »Nur für den Fall.«
Angewidert ging Jack an dem alten Mann vorbei, hinaus in die Halle. Als er sich Eloise näherte, lächelte er kläglich. Bestimmt waren ihm die Zweifel anzusehen, wie bei einem Kind, das weinte, damit man ihm half. Er sah rasch wo andershin und hoffte, sie hatte es nicht bemerkt. Ihre starke Hand legte sich auf seinen Arm. Fest und entschlossen.
»Ich werde hier sein, wenn ihr zurückkehrt«, sagte sie. »Ihr werdet zurückkehren.« Ihre Worte waren wie ein Befehl. Er nickte, und sie nahm ihre Hand weg.
Jack ließ das Haus und das Jahr 1940 erneut hinter sich.
19 Der Totengräber
19
Der Totengräber
I rgendwo in der Ferne läutete eine Glocke Mitternacht, und Jack wusste, dass der Dreizehnte endlich gekommen war.
Er kauerte dicht bei der Kirche und bibberte. Es fiel starker Schnee, genau wie er sich erinnerte, und die Grabsteine trugen weiße Mützen, die ihre harten grauen Oberflächen wie Gagat aussehen ließen.
Er war müde und hungrig, und vor seinem geistigen Auge spielten sich die Ereignisse
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