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Jack Morrow und das Grab der Zeit: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Jack Morrow und das Grab der Zeit: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Titel: Jack Morrow und das Grab der Zeit: Roman (Heyne fliegt) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Niel Bushnell
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das?«
    »Ich bin noch nie vorwärtsgereist.«
    »Ist dasselbe wie stromabwärts zu reisen: Du tastest dich da einfach rein. Sobald du einen Tränentunnel mal runtergereist bist, bleibt er für dich offen.«
    »Aber es gibt doch noch keinen Grabstein.«
    »Der Tränentunnel ist trotzdem da.«
    Jack kniete sich in den Schnee, die Arme vor sich ausgestreckt, und schloss die Augen. Er spürte nichts.
    »Da ist aber keiner.«
    »Gib dir halt ein bisschen Mühe«, sagte Davey mitleidlos.
    »Aber du hilfst mit.« Jack zog ihn am Arm.
    Davey zuckte mit den Schultern und kauerte sich neben ihn, legte ihm eine Hand auf die Schulter und streckte die andere vor, wie auch Jack es tat.
    Jack lächelte. Er hatte die Augen zwar geschlossen, aber er spürte die Wärme, die von Daveys Hand durch sein dünnes Hemd ausstrahlte. Ihm fiel ein Tag vor mehreren Jahren ein, als er mit seinem Vater im Park gespielt hatte. In der Nacht davor hatte es geschneit, und obwohl die Schneedecke nur dünn war und bereits schmolz, hatte Jack seinem Vater damit in den Ohren gelegen, draußen zu spielen. Sie hatten Mühe gehabt, überhaupt ein paar kleine Schneebälle zu machen, aber Jack hatte jede Minute genossen. Es war eines der wenigen Male seit dem Tod seiner Mutter gewesen, dass sein Vater und er miteinander gelacht und ihre Sorgen in dem Schneematsch vorübergehend vergessen hatten. Als sie durch nässt und müde nach Hause zurückgekehrt waren, hatten sie zusammen in dem großen Ohrensessel am Fenster gesessen, heiße Schokolade getrunken und zugesehen, wie die Sonne den Schnee zu Schmutzwasser schmolz. Sein Vater hatte Jack in den Arm genommen und eine Hand auf seine Schulter gelegt, genau wie Davey es gerade tat. Jack schwelgte in der Erinnerung.
    Plötzlich spürte er den Tränentunnel. Er griff mit seinem Geist danach und …
    »Da!«
    Eine schroffe Stimme riss ihn aus seiner Konzentration. Er drehte sich um, und ein untersetzter Mann mit einem breiten Schnurrbart watschelte durch den Schnee auf sie zu, mit einem größeren Mann in einer altmodischen Polizeiuniform gleich hinter sich – es musste ein Schutzmann sein, das hatte Jack mal im Geschichtsunterricht gelernt. Der Mann zeigte in ihre Richtung, rief irgendetwas, und der Schutzmann fing an zu rennen.
    »Wir müssen hier raus!«, sagte Jack zu Davey.
    »Zum Abhauen ist es zu spät! Du musst den Tränentunnel finden.«
    »Dafür reicht die Zeit nicht«, sagte Jack verzweifelt und versuchte sich zu konzentrieren.
    »Rouland!«, keuchte Davey.
    Jack öffnete wieder die Augen. Weiter drüben stieg Rouland zusammen mit Jane McBride langsam die Stufen zum Kirchentor hinauf. Seine Kleidung entsprach der Epoche, besaß aber dieselbe Schlichtheit und Eleganz wie 1940, als Jack ihm begegnet war. Teuer, dezent, vornehm. Sein klar geschnit tenes Gesicht wirkte zeitlos, wie das einer Statue, mit einem durchdringenden Blick, der die Seele eines Menschen entzwei schneiden konnte.
    »Wie kann er hier sein, im Jahr 1813?«, fragte Jack. »Ist er uns gefolgt?«
    »Nein, er ist schon die ganze Zeit hier. Seit Jahrhunderten. Ihr seid euch noch nicht begegnet.«
    »Er sieht aber genauso aus.«
    »Der Tränentunnel!«, fauchte Davey. »Konzentrier dich!«
    »Aber wenn er mich sieht, dann wird er sich 1940 daran erinnern.«
    »Also bring uns schon hier weg!«
    Der Schutzmann hatte sie jetzt fast erreicht. Jack schloss die Augen und atmete langsam aus, schob alle Ablenkungen beiseite. Er spürte, wie ihn eine Hand grob an der Schulter packte, und dann war sie wieder weg. Er hatte das Ende des Tränentunnels zu fassen bekommen und wurde von einem machtvollen emotionalen Aufruhr erfasst, während er an ihm entlang in die Zukunft raste. Er spürte den inzwischen bekannten schwindelerregenden Ansturm fremder Erinnerungen, die Trauer anderer Leute, und dann lag er wieder mit dem Gesicht nach unten auf trockener Erde.
    Er öffnete die Augen und sah den alten Engel aus Stein über sich aufragen. Am Himmel oben waren vereinzelt die kleinen Punkte von Flugabwehr-Ballonbomben zu sehen. Er hatte es zurück ins Jahr 1940 geschafft. Er musste lachen, weil sie beinahe geschnappt worden wären, und drehte sich auf die Seite, um Davey erleichtert anzusehen, aber dann war sein Grinsen plötzlich wie weggewischt. Er sah sich hektisch um und sprang auf. Er rannte auf die andere Seite der Engels statue, aber er wusste die Wahrheit schon: Davey war im Jahr 1813 geblieben.

18 Suppe und Tränentunnel
    18
    Suppe und

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