Jack Reacher 03: Sein wahres Gesicht
Kurz vor achtzehn Uhr auf Hawaii.
»Hier liegen nur sieben Skelette«, sagte er. »Aber fünfzehn Hände.«
Achtzehn Uhr auf Hawaii ist dreiundzwanzig Uhr in New York City Hobie hielt sich allein im Schlafzimmer seines Apartments auf, dreißig Stockwerke über der Fifth Avenue, und war gerade dabei, ins Bett zu gehen. Normalerweise tat er das nicht schon um diese Zeit, sondern blieb meist bis ein oder zwei Uhr morgens auf, las ein Buch oder sah sich im Kabelfernsehen einen Film an. Doch heute Abend war er müde. Hinter ihm lag ein langer Tag mit einem gewissen Maß an körperlicher Anstrengung und geistigem Stress.
Hobie saß auf der Kante seines riesigen französischen Betts mit der dicken weißen Steppdecke. Die Wände seines Schlafzimmers waren weiß, die Jalousien ebenfalls. Nicht etwa, weil er in Bezug auf seine Einrichtung einen gewissen Stil pflegte, sondern weil weiße Sachen immer am billigsten waren. Was man auch kaufte - Bettwäsche, Wandfarbe oder Jalousien -, die weiße Ausführung kostete immer am wenigsten. Die Wände waren kahl. Es gab keine Bilder, keine Fotos, keine Erinnerungsstücke, keinen Wandteppich. Der Fußboden bestand aus schmucklos schlichten Eichendielen. Ohne Teppich.
Er trug blitzblank geputzte schwarze Oxfords, die genau rechtwinklig zu den Eichendielen standen, bückte sich, zog nacheinander die Schnürsenkel auf und dann die Schuhe aus. Schob sie mit den Füßen zusammen und stellte sie ordentlich unters Bett. Danach streifte er seine Socken von den Füßen, schüttelte sie aus und ließ sie auf den Boden fallen. Als Nächstes nahm er die Krawatte ab. Er trug immer eine Krawatte. Er war sehr stolz darauf, dass er sich seine Krawatte mit nur einer Hand binden konnte.
Er trat barfuß an den Kleiderschrank, schob die Spiegeltür auf und fädelte das schmale Ende seiner Krawatte hinter der Messingstange ein, auf der sie nachts immer hing. Dann ließ er das Jackett vom linken Arm gleiten. Benutzte seine linke Hand, um es vom rechten Arm zu ziehen. Er holte einen Bügel heraus, hängte sein Jackett mit einer Hand darüber und in den Schrank. Er knöpfte seine Hose auf und öffnete den Reißverschluss. Schlüpfte aus der Hose, hockte sich hin und zog sie auf dem glänzenden Eichenboden glatt. Für einen Einarmigen war das die einzige Möglichkeit, eine Hose richtig zusammenzulegen. Dann stand er auf, nahm einen weiteren Bügel aus dem Kleiderschrank, bückte sich, schob ihn unter die Aufschläge und bis zu den Knien hinauf. Er hängte sie neben das Jackett in den Schrank.
Mit den Fingern der linken Hand schob er die Knöpfe seines Oberhemds durch die gestärkte Knopfleiste. Danach knöpfte er die rechte Manschette auf. Er ließ das Hemd über die Schultern gleiten und benutzte die Linke, um es über den Haken herunterzuziehen. Dann beugte er sich leicht zur Seite, damit es über den linken Arm rutschen konnte. Trat mit einem Fuß auf einen Hemdzipfel und zog seinen Arm aus dem Ärmel nach oben. Dabei wurde der Ärmel umgekrempelt, und seine linke Hand zwängte sich durch die Manschette. Die einzige Veränderung, die an irgendeinem seiner Kleidungsstücke nötig war, bestand darin, dass er die Manschettenknöpfe seiner Hemden versetzen ließ, damit er sie zugeknöpft über die linke Hand streifen konnte.
Er ließ das Oberhemd auf dem Fußboden liegen, fasste seine Boxershorts am Bund und zog sie herunter. Dann packte er den Saum seines Unterhemds. Dies war der schwierigste Teil. Er zerrte am Hemdsaum, zog den Kopf ein und streifte das Unterhemd hoch. Wechselte den Griff und zog es sich übers Gesicht. Mit der linken Hand hielt er das Ärmelloch auf, um den Haken hindurchzubekommen. Dann schnellte er seinen linken Arm nach vorn, bis das Unterhemd über Kopf und Rücken glitt und auf dem Fußboden landete. Er bückte sich, raffte es mit dem Hemd, den Boxershorts und den Socken zusammen, trug die Sachen ins Bad und warf sie in den Wäschekorb.
Er ging nackt zum Bett zurück und setzte sich wieder auf die Kante. Griff mit der linken Hand über seine Brust und löste die Schnallen der breiten Lederriemen um seinen rechten Oberarm. Drei Lederriemen, drei Schnallen. Er drückte das Lederkorsett auseinander und nach hinten weg. Es knarrte in der Stille seines Schlafzimmers. Das Leder war dicker und schwerer als das von Schuhen und in geformten Lagen übereinander geklebt. Es war braun und durch langen Gebrauch glänzend abgewetzt. Im Lauf der Jahre hatte es sich seinem Muskel wie ein
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