Jack Reacher 03: Sein wahres Gesicht
Bamfords Sarg und legte die beiden gelblichen Knochenstücke vorsichtig in eine Ecke. Er schüttelte den Kopf. »Ich kann’s einfach nicht glauben, Nash. Alles, was ich über diesen Mann weiß, sagt mir, dass er nicht die Mentalität eines Deserteurs hatte. Seine Herkunft, seine militärische Laufbahn, alles. Mit Deserteuren kenne ich mich aus. Ich habe schon viele gejagt und aufgespürt.«
»Er ist desertiert«, entgegnete Newman. »Das ist eine Tatsache, das steht in den Unterlagen des Feldlazaretts.«
»Er hat den Absturz überlebt«, sagte Reacher. »Das lässt sich nicht mehr bestreiten, denke ich. Er war im Lazarett. Auch das steht außer Zweifel. Aber vielleicht ist er nicht wirklich desertiert? Vielleicht war er nur verwirrt - von Medikamenten benommen, nicht ganz klar im Kopf? Vielleicht ist er nur herumgeirrt und hat sich verlaufen?«
Newman schüttelte den Kopf. »Er war nicht verwirrt.«
»Das passt nicht zusammen«, widersprach Reacher.
»Der Krieg verändert die Menschen«, bemerkte Newman.
»Nicht so gewaltig«, erwiderte Reacher.
Newman trat einen Schritt näher an ihn heran und senkte erneut die Stimme.
»Er hat einen Krankenpfleger umgebracht«, flüsterte er. »Der Mann hat gesehen, dass er das Lazarett verlassen wollte, und versucht, ihn aufzuhalten. Das steht alles in den Unterlagen. Ich gehe nicht zurück, hat Hobie gesagt und dem Kerl eine Flasche über den Kopf geschlagen. Doppelter Schädelbruch. Sie haben ihn in Hobies Bett gelegt, aber er hat den Rücktransport nach Saigon nicht überlebt. Das ist der wirkliche Grund für die strenge Geheimhaltung, Reacher. Die Army hat nicht nur darauf verzichtet, einen Deserteur zu verfolgen. Sie hat einen Mörder laufen lassen.«
Im Labor herrschte betroffenes Schweigen. Die Klimaanlage summte leise. Reacher stützte sich mit einer Hand auf den Rand von Bamfords Aluminiumsarg, weil er fürchtete, seine Knie könnten nachgeben.
»Das glaube ich nicht«, sagte er.
»Sie müssen’s aber glauben«, entgegnete Newman, »weil es wahr ist.«
»Das kann ich seinen Eltern nicht erzählen«, sagte Reacher. »Ausgeschlossen! Das wäre ihr Tod.«
»Ein schreckliches Geheimnis«, bemerkte Jodie. »Er ist als Mörder straffrei geblieben?«
»Politik«, antwortete Newman. »Unsere Politik dort drüben hat zum Himmel gestunken. Das tut sie eigentlich noch heute.«
»Vielleicht ist er bald danach gestorben«, meinte Reacher. »Hat seine Flucht durch den Dschungel nicht überlebt. Er war noch immer sehr krank, oder?«
»Was würde Ihnen das nützen?«, fragte Newman.
»Nun, ich könnte seinen Eltern berichten, dass er gefallen ist, brauchte nicht auf Einzelheiten einzugehen.«
»Sie klammern sich an Strohhalme«, meinte Newman.
»Wir müssen gehen«, sagte Jodie. »Sonst verpassen wir unser Flugzeug.«
»Würden Sie seine Krankenakte überprüfen?«, fragte Reacher. »Wenn ich sie von seinen Eltern bekäme? Würden Sie das für mich tun?«
Schweigen.
»Sie liegt schon hier«, antwortete Newman. »Leon hat sie mitgebracht. Hobies Eltern haben sie ihm überlassen.«
»Nehmen Sie die Überprüfung vor?«, fragte Reacher.
»Sie klammern sich an Strohhalme«, wiederholte Newman.
Reacher drehte sich um und zeigte auf die in einer Nische in der Rückwand des Labors gestapelten über hundert Kartons. »Er könnte bereits dort drin liegen, Nash.«
»Er ist in New York«, sagte Jodie. »Siehst du das nicht ein?«
»Nein, ich will, dass er tot ist«, sagte Reacher. »Ich kann nicht zu seinen Eltern gehen und ihnen erzählen, dass ihr Sohn ein Deserteur und Mörder ist, dass er die ganze Zeit irgendwo gelebt hat, ohne sich bei ihnen zu melden. Er muss tot sein.«
»Aber das ist er nicht«, widersprach Newman.
»Aber er könnte tot sein, nicht wahr?«, sagte Reacher. »Er kann später gestorben sein. Irgendwo im Dschungel, an einem anderen Ort, vielleicht weit entfernt, auf der Flucht? Krankheit, Unterernährung? Vielleicht sind seine sterblichen Überreste längst aufgefunden worden. Überprüfen Sie seine Krankenakte? Um mir einen Gefallen zu erweisen?«
»Reacher, wir müssen wirklich gehen«, drängte Jodie ihn.
»Nehmen Sie die Überprüfung vor?«, wiederholte Reacher.
»Das kann ich nicht«, antwortete Newman. »Diese ganze Sache ist streng geheim, kapieren Sie das nicht? Ich hätte Ihnen überhaupt nichts sagen dürfen. Und ich kann jetzt keinen weiteren Namen auf die Vermisstenliste setzen. Da macht das Heeresministerium nicht mit. Wir sollen
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