Jack Reacher 03: Sein wahres Gesicht
Stahlkorsett angepasst. Es quetschte seinen Bizeps zusammen, als er es nach hinten drückte. Er schob die angenieteten Lederriemen von seinem Ellbogen weg. Dann nahm er den kalten Stahl seines Hakens in die linke Hand und zog behutsam daran. Das halbrunde Lederformstück trennte sich vom Armstumpf, und er hielt nun die ganze Prothese in der Hand. Klemmte sie sich senkrecht zwischen die Knie, sodass der Haken zum Fußboden und das Formstück nach oben wies. Er beugte sich zum Nachttisch hinüber, zog einen Packen Kosmetiktücher aus einer Box und holte eine Dose Talkumpuder aus der Schublade. Drückte die Kosmetiktücher in der linken Faust zusammen, stopfte sie in das Formstück und bewegte sie schraubenförmig, um den Schweiß des Tages zu entfernen. Dann schüttelte er die Talkumdose und puderte die Innenseite ein. Er zog weitere Kosmetiktücher heraus und polierte damit das Leder und den Stahl. Dann legte er die Prothese parallel zu seinem Bett auf den Fußboden.
Über dem Stumpf des rechten Unterarms trug er eine dünne Socke. Sie sollte verhindern, dass das Leder seine Haut aufrieb. Das war kein medizinischer Spezialartikel, sondern eine Babysocke. Schlauchförmig, ohne Ferse. Er kaufte sie in Packungen zu einem Dutzend Paaren in Kaufhäusern und nahm immer die weißen. Sie waren billiger. Jetzt nahm er die Socke ab und legte sie neben die Box mit Kosmetiktüchern auf den Nachttisch.
Der Stumpf selbst war geschrumpft. Er verfügte noch über ein paar Muskeln, die aber nicht zum Einsatz kamen und deshalb geschwunden waren. Man hatte die Knochen an den abgetrennten Enden stumpf zugefeilt, die Haut darüber gezogen und vernäht. Die Haut war weiß, die Stiche feuerrot. Sie sahen wie chinesische Schriftzeichen aus. Aus dem Armstumpf wuchsen schwarze Haare, weil die Haut, die ihn bedeckte, von der Oberseite seines Arms über die Wunde gezogen worden war.
Er stand wieder auf und ging ins Bad. Einer der Vorbesitzer hatte über dem Waschbecken eine riesige Spiegelwand anbringen lassen. Er betrachtete sich darin - und hasste, was er sah. Sein Arm störte ihn nicht weiter. Der fehlte nur. Aber er hasste sein Gesicht. Wegen der Brandnarben. Der Arm war eine Verwundung, aber sein Gesicht war eine Verunstaltung. Er drehte den Kopf halb zur Seite, um es nicht sehen zu müssen, putzte sich die Zähne und nahm eine Flasche Hautlotion mit zurück ans Bett. Drückte einen Tropfen davon auf den Armstumpf und massierte ihn mit den Fingern ein. Dann stellte er die Hautlotion neben die Babysocke auf den Nachttisch, kroch unter die Steppdecke und knipste das Licht aus.
»Links oder rechts?«, fragte Jodie. »Welche Hand hat er verloren?«
Reacher stand über Bamfords Aluminiumsarg gebeugt und begutachtete die Knochen.
»Seine rechte Hand«, sagte er. »Die überzählige Hand ist eine rechte Hand.«
Newman trat neben ihn, neigte sich über den Sarg und schob mit dem Zeigefinger zwei zersplitterte Knochenstücke von etwa zwölf Zentimeter Länge auseinander.
»Er hat mehr als nur die Hand verloren«, sagte er. »Das hier sind Elle und Speiche seines rechten Arms. Er ist unter dem Ellbogen abgetrennt worden - wahrscheinlich durch einen Splitter eines Rotorblatts. Vermutlich ist genug zurückgeblieben, um einen brauchbaren Stumpf zu bilden.«
Reacher ließ seinen Finger über die zersplitterten Knochenenden gleiten.
»Das verstehe ich nicht, Nash«, sagte er. »Warum haben Sie die Umgebung nicht abgesucht?«
»Warum sollten wir?«, fragte Newman in neutralem Tonfall.
»Wieso haben Sie einfach angenommen, er habe den Absturz überlebt? Er war schwer verletzt. Der Aufschlag, der abgetrennte Arm? Vielleicht weitere Verletzungen, vielleicht innere Blutungen? Zumindest großer Blutverlust? Vielleicht auch Brandwunden? Schließlich gab es überall brennenden Treibstoff. Denken Sie darüber nach, Nash. Wahrscheinlich ist er vom Wrack der Huey weggekrochen - aus dem Armstumpf blutend, vielleicht inmitten von Flammen hat sich zwanzig, dreißig Meter weit geschleppt und ist im Unterholz zusammengebrochen und gestorben. Warum zum Teufel haben Sie ihn nicht gesucht?«
»Diese Frage sollten Sie sich selbst stellen«, gab Newman zurück. »Warum haben wir ihn nicht gesucht?«
Reacher starrte ihn an. Nash Newman, einer der intelligentesten Männer, die er je gekannt hatte. Ein Mann, der so pedantisch und präzise arbeitete, dass er ein Stück Schädelknochen in die Hand nehmen und einem sagen konnte, wem es gehörte, wie der Tote gelebt
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