Jack West 03 - Der fünfte Krieger
streitest und sogar richtig sauer auf ihn wirst, wie das bei Lachlan und Julius häufig der Fall ist. Aber ein wahrer Freund wird nach einer Weile seine Wut vergessen, weil die Treue zu seinem Freund stärker ist als die Erinnerung an den Zwist.«
»Was ist dann mit Pooh Bear und Scimitar passiert?«, fragte Lily. »Warum sind sie keine Freunde mehr?«
»Sie haben schon vor langer Zeit unterschiedliche Wege eingeschlagen«, sagte Jack leise. »Aber dummerweise haben sich diese Wege vor kurzem wieder gekreuzt.«
»In dieser Mine in Äthiopien. Was ist dort passiert, Daddy? Wie konnte Scimitar seinen Bruder dem sicheren Tod überlassen?«
»Scimitar und Pooh Bear sind sehr unterschiedlich, meine Kleine. Pooh Bear sieht die Welt wie wir, als einen Ort, auf dem Platz für jeden ist; Scimitar sieht das wesentlich enger, als einen Ort nur für Leute wie ihn. Und obwohl die beiden Brüder sind, betrachtet Scimitar Pooh Bear nicht mehr als seinen Bruder.«
»Und wie ist das mit Pooh Bear? Mag er Scimitar noch?«
»Das musst du ihn selbst fragen. Aber du kennst ja unseren Pooh Bear: zwei Zentner wandelnde Loyalität. Sieh dir nur an, was er in Israel für Stretch getan hat. Deshalb nehme ich mal an, er wird Scimitar immer als seinen Bruder betrachten, selbst wenn Scimitar das anders sieht.«
Lily dachte eine Weile nach - über ihren Bruder Alexander, der, von klein auf zum Herrschen erzogen, wohl kaum einmal ihr Freund würde. Dann dachte sie an Alby, ihren besten Freund, auf den immer Verlass war.
»Alby und ich streiten nie«, sagte sie. »Wir sind richtig gute Freunde.«
Jack nickte. »Da hast du vollkommen recht. Ich glaube, ihr zwei werdet euer Leben lang die besten Freunde bleiben.«
Ansonsten, muss man sagen, ging es Lily ziemlich gut.
An dem Weihnachten auf Little MacDonald Island hatte ihr Jack ein Paar Skaterschuhe geschenkt - sie sahen aus wie ganz normale Turnschuhe, nur
hatten sie in der Ferse jeweils eine Rolle, auf der man bergab rollen konnte. Natürlich waren sie pink, und sie trug sie bei jeder Gelegenheit. In der ersten Woche war sie damit sogar ins Bett gegangen.
Anfang Januar 2008, als Jack und die anderen nach Israel geflogen waren, um Stretch zu befreien, hatte sie bei Alby in Perth gewohnt - und obwohl sie es nie zugegeben hätte, hatte ihr der Aufenthalt bei Alby und seiner Mutter einen Vorgeschmack auf die Normalität des Vorstadtalltags vermittelt.
Mit einer Ausnahme: Lily stellte fest, dass nicht alle Väter so toll waren wie Jack.
Während Albys Mam Lois eine fürsorgliche Mutter war, sah die Sache bei seinem Vater schon etwas anders aus. Er war ein amerikanischer Bergwerksingenieur, der in Perth arbeitete und sich lieber mit Albys älterem Bruder Josh abgab. Josh war größer und sportlicher als der kleine Alby mit seiner Brille. Josh war einer der besten Sportler seiner Schule.
Lily entging nicht, dass Albys Vater an den Wochenenden lieber mit Josh im Park Fußball spielte, als mit Alby an seinem Teleskop zu sitzen. Und sie merkte auch, wie traurig das Alby machte.
Wenn sein Dad nur die Wahrheit gewusst hätte, dachte Lily, als sie mit ihren mittlerweile ziemlich abgenutzten Skaterschuhen in der Hauptkabine der Halicarnassus saß, die im schwachen Licht der Morgendämmerung über der Mongolei in Richtung Osten flog.
Ohne Alby hätten sie alle einpacken können. Er war es gewesen, der herausgefunden hatte, wo in England sich der sechste heilige Stein, die Schale von Ramses IL, befand. Daraufhin waren Pooh Bear, Stretch und die Zwillinge nach England geflogen, während Jack, Zoe und Lily in die Mongolei aufgebrochen waren.
Bei dem Gedanken an Alby beschloss Lily, ihm eine E-Mail zu schicken. Sie erhielt jedoch keine Antwort. Anscheinend war er gerade nicht an seinem Computer.
Sie versuchte, ihn anzurufen, aber niemand meldete sich.
Das war eigenartig. Kein Lebenszeichen von Alby.
EINE MISSION IN GROSSBRITANNIEN
DER SECHSTE HEILIGE STEIN
BRITISH MUSEUM LONDON, ENGLAND
28. FEBRUAR 2008. 17:00 UHR 12 TAGE VOR DEM DRITTEN STICHTAG
Sobald er das British Museum betrat, ließ ihn der Sicherheitsdienst nicht mehr aus den Augen.
Das hatte nichts mit Rassismus zu tun; es lag einfach daran, dass auf Pooh Bear haargenau die Beschreibung eines »Mannes von orientalisch anmutendem Äußeren« passte. Und in diesen unsicheren Zeiten - vor allem nach den Bombenanschlägen auf das Londoner Verkehrssystem im Jahr 2005 - wurden Personen, die so aussahen, scharf beobachtet, wenn
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