Jack West 03 - Der fünfte Krieger
neue Papst persönlich den kambodschanischen Präsidenten angerufen, um ein Treffen zwischen dem Präsidenten und Montesori zu vereinbaren. Die Kirche mobilisiert alle Kräfte, und Sie wissen ja, auf welches Datum 2008 Ostern fällt.«
»Wissen wir«, antwortete Jack.
Es gab ein weiteres Foto am Whiteboard, das Lilys Aufmerksamkeit erregte; ein Foto, das sie nie vergessen sollte. Sie bekam immer noch Alpträume davon.
Es zeigte einen Mann, von dessen Gesicht eine Hälfte fehlte. Er sah total grotesk aus: Er hatte kurzgeschnittenes schwarzes Haar, in das sich tiefe Geheimratsecken fraßen, ungesund gelbgeränderte Augen, und - ja - sein ganzer linker Unterkiefer fehlte.
Es sah aus, als hätte ein wildes Tier ein Stück aus seinem Gesicht herausgebissen, fein säuberlich abgetrennt, so dass nur ein hässliches Nichts zurückblieb, das von einer primitiven Stahlkonstruktion ersetzt wurde.
Die Bildunterschrift lautete:
OBERST WLADIMIR KARNOW
RUFZEICHEN: CARNIVORE
NATIONALITÄT: RUSSE EX-KGB; FSB; 2006
RUHESTAND
ZWISCHEN 1997 UND 2006 AN 9 ANSCHLÄGEN AUF RUSSISCHE JOURNALISTEN IM WESTEN MITTELS RADIOAKTIVER VERSTRAHLUNG BETEILIGT.
VERBLEIB UNBEKANNT.
Lily starrte auf das abstoßende Gesicht des Mannes.
»Vor kurzem haben wir ein verschlüsseltes Telefonat zwischen Balmoral und Windsor Castle abgefangen«, sagte der Geheimdienstmitarbeiter. »Eine partielle Entschlüsselung des Gesprächs ergab die Wörter:... bevor Carnivore sich einschaltet... Als Karnow als junger Agent für den KGB arbeitete, soll er geholfen haben, die letzten Überlebenden der Romanows, der Zarenfamilie, aufzuspüren.«
»Ein neuer Kontrahent in diesem Spiel?«, fragte Jack.
»Wenn dem so sein sollte, ist sicher nicht mit ihm zu spaßen.«
»Und für wen arbeitet er?« Jacks Frage war eher rhetorischer Natur. »Oder macht er das in eigener Regie?«
Carnivores Bild ging Lily nicht mehr aus dem Kopf. Sein grauenerregendes Gesicht verfolgte sie noch Wochen nach dem Treffen in ihren Träumen.
DEZEMBER 2007 - JANUAR 2008
NACH DEM EINSETZEN DER ZWEITEN SÄULE
Aber es gab auch glücklichere Momente: wenn Jack ihr neue Selbstverteidigungstechniken beibrachte, wenn sie mit Zoe typische Mädchendinge machte oder wenn sie mit den Zwillingen herumalberte.
In der kurzen Zeit, die sie nach dem Einsetzen der Zweiten Säule auf Little MacDonald Island verbracht hatte, bevor sie zusammen mit Alby nach Perth verfrachtet worden war, war es eines von Lilys persönlichen Highlights gewesen, Lachlan und Julius Adamson näher kennenzulernen.
Sie fand die beiden total witzig: wie jeder immer die Sätze des anderen zu Ende sprach oder begeistert von einem neuen Cheat für World of Warcraft oder von einer uralten paläolithischen Stätte erzählte, mit der sie sich gerade befassten. Sie waren wie kleine Jungs in den Körpern Erwachsener.
Zum ersten Mal begegnet war Lily den zwei sommersprossigen, rothaarigen Zwillingen Anfang Dezember 2007 auf dem Weg nach Stonehenge, als sie dort das Lichtspektakel veranstaltet hatten.
Lachlan und Julius waren gebürtige Schotten und hatten am Trinity College über neolithische Kulturen promoviert; ihr Doktorvater war Wizard gewesen, der sie deshalb auch nach Stonehenge mitgenommen hatte.
Ihre Wissbegierde schien unerschöpflich. Auf Little MacDonald Island hatte Lily Jack einmal ganz direkt darauf hin angesprochen.
»Lachlan und Julius sind wirklich einzigartig. Es gibt nichts Schöneres für sie, als etwas Neues zu entdecken. Es ist, als müssten sie jeden Tag etwas Neues herausfinden. Außerdem sollte ich hinzufügen, sind sie menschlich schwer in Ordnung und verstehen sich auch untereinander bestens.«
»Wieso auch nicht? Sie sind schließlich Brüder.«
»Ja, sie sind Brüder, aber sie sind auch richtig gute Freunde -und das ist keineswegs eine Selbstverständlichkeit. Nimm zum Beispiel Pooh Bear und Scimitar. Lachlan und Julius wollen immer nur das Beste für den anderen.« »Aber sie streiten doch die ganze Zeit!«
»Klar liegen sie sich ständig in den Haaren, aber weil sie so gute Freunde sind, vertragen sie sich schnell wieder. Wenn ich dir irgendetwas beibringen möchte, was du für dein Leben mitnehmen solltest, Lily, dann vor allem Folgendes: Die Treue von Freunden währt länger als ihre Erinnerung.«
»Das verstehe ich nicht.«
»Vielleicht hast du es noch nicht selbst erlebt, aber im Lauf einer langen Freundschaft kann es durchaus passieren, dass du mit deinem Freund
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