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Jacob beschließt zu lieben - Roman

Jacob beschließt zu lieben - Roman

Titel: Jacob beschließt zu lieben - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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ganze Landstriche verwüstet, dass er als Einziger fett geworden war.
    Doch als die ersten Kolonisten sich, von der Kaiserin gelockt, auf den Weg machten, als der Hunger Angst bekam, in den aufgegebenen Dörfern allein zu bleiben und keinen mehr peinigen zu können, sprang auch er auf einen der Karren, der ihn mit nach Ulm brachte. Die erste Station auf dem Weg ins Banat.
    Aber der Hunger war nicht mehr die größte Gefahr. Nach und nach hatte man das Land besser unter Kontrolle, die Marosch wurde eingedämmt, und auch Dürre und Überschwemmungen blieben viele Jahre aus. Nach der Cholera von 1873, dem Frost ein Jahr später, der die Reben, den ganzen Stolz der Triebswetterer, vernichtete, nach den zwei Erdbeben von 1879 und den Überschwemmungen der Marosch, dreimal zwischen 1880 und 1882, war es ruhiger geworden. Der Mensch atmete auf, er konnte seine Armut besser annehmen, wenn der Magen nicht dauernd knurrte.
    Niclaus konnte sich noch an jenes übermächtige Gefühl des Hungers erinnern, das einen beinahe in die Ohnmacht trieb. Und auch Elsa kannte es aus ihren ersten Lebensjahren. Eine Brotscheibe am Tag, bestrichen mit Schweineschmalz, dazu Krautsuppe oder Maisbrei. IhrVater hatte ihr erzählt, wie damals, als er noch ein Junge war, die Marosch dreimal gekommen war. Dreimal hatte man gesät, das Korn war goldgelb gewachsen, ein Meer aus Korn, sodass es einem allein vom Schauen schwindlig wurde, wenn es sich im Wind bewegte.
    Als ob der Fluss ein böses, hinterhältiges Wesen war, das genau wusste, wann es dem Menschen am meisten schaden konnte, war die Flut immer über Nacht gekommen und für Wochen geblieben. Was das Wasser nicht erledigte, erledigten die Ratten. Ohne die körperliche Auszehrung durch den Hunger wäre auch Elsas Mutter bei der Geburt ihrer Tochter sicher nicht gestorben.
    Diese dreimalige Zerstörung, die die Menschen gezwungen hatte, die Rossmühlen selber zu drehen, weil die Tiere zu entkräftet waren, hatte auch den Obertins so zugesetzt, dass sie sich nicht mehr davon erholten. Als aber Elsa mit siebzehn Jahren nach Amerika fuhr, war es nicht mehr so sehr der Hunger gewesen, der sie hintrieb, sondern die fehlende Aussicht, die Armut hinter sich lassen zu können.
    Nach ihrer Rückkehr war auch Armut kein Thema mehr, sie besaß mehr, als sie brauchte. Das hatte sie vielleicht in die Einsamkeit getrieben, denn ein Bauer durfte wohlhabend sein, aber nicht unanständig reich.
    Sie brauchte keinen Mann mehr, der ihr den Hunger oder die Armut ersparte. Da war etwas anderes, jenes Gefühl, das sie später oft sagen ließ: «Man braucht einen Mann im Haus.» Genauso unumstößlich wie ihre anderen Sätze, wie ein in Stein gemeißeltes Gesetz, das einem keine andere Möglichkeit lässt, als sich diesen einen Mann zu nehmen und ihn zu ertragen. Das war es vielleicht, was Elsa Obertin in die Arme eines Fremden trieb,der ihr außer einem guten Aussehen, männlicher Kraft und Forschheit kaum etwas anbieten konnte.
    Niclaus hatte die Idee zuerst begrüßt, sie dann wieder verworfen, zu groß waren die Standesunterschiede zwischen einer Obertin und einem Ohne-Nachnamen. Je länger er auf seine Tochter einredete, desto tauber wurde sie für seine Worte.
    «Ich will nicht allein bleiben auf diesem großen Hof, wenn du mal tot bist. Oder in unserem Stadthaus in Temeschwar. Ich will einen Mann und einen Sohn, der unseren Namen weiterführt. Dafür tue ich alles», sagte sie.
    Ihr Vater sah sie lange stumm an. «Du hast aus Amerika viel Geld gebracht, aber du bist nicht mehr dieselbe», sagte er.
    «Du musst mir nichts über Amerika erzählen, du bist nicht dort gewesen.»
    «Aber doch nicht so einer, wir wissen nicht einmal, ob seine Geschichte stimmt», sagte ihr Vater und setzte sich hin.
    Elsa strich ihm über den Kopf, dann flüsterte sie ihm zu: «Wenn ich nicht bald einmal ein Kind kriege, bleiben wir ohne Erben, und die Obertins sterben aus. Willst du das? Ich nicht. Ich werde alles tun, damit es nicht so weit kommt. Ich nehme mir sogar diesen Jakob. Mutter ist dafür gestorben, damit ich auf die Welt komme. Jetzt bin ich dran, etwas zu tun.»
    «Du bist doch schon nach Amerika …», wandte Niclaus ein.
    «Das ist gar nichts im Vergleich zu Mutter.» Sie atmete tief ein und fügte mit gepresster Stimme hinzu: «Ich sorge dafür, dass es nicht umsonst war. Außerdem: Wenn ichmal verheiratet bin, hört vielleicht auch diese ganze Bosheit im Dorf auf.»
    Sie klopfte ihrem Vater mehrmals auf die

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