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Jacob beschließt zu lieben - Roman

Jacob beschließt zu lieben - Roman

Titel: Jacob beschließt zu lieben - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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los, jeder in seine Richtung.
    «Ich sage niemandem was!», rief sie mir zu.
    «Ich auch nicht», erwiderte ich.
    Als ich am Fuße des Zigeunerhügels ankam, ließ ich den Sack fallen, schnappte nach Luft, dann formte ich mit den Händen einen Trichter und rief nach Sarelo. Wenn ich Glück hatte, war er zu Hause und würde gleich mit großen, sicheren Schritten hinunterlaufen und mir die Last abnehmen.
    Der Zigeunerhügel hieß immer noch so, wie zur Erinnerung an frühere Zeiten, als es dort von Leben wimmelte, die Öfen bis tief in die Nacht brannten und das Hämmern der Kesselflicker schon von Weitem zu hörenwar. So hatte es mir Großvater erzählt. Jetzt stand dort nur noch ein Haus, wenn man es so nennen wollte.
    Oben tauchte Sarelo auf, hielt ein Messer ins Licht und prüfte seine Arbeit. Die Klinge leuchtete kurz auf. Ich wusste genau, was er nun tun würde, ich hatte es Dutzende Male beobachtet. Er hob nun ein zweites Messer, kniff ein Auge zu und prüfte mit dem anderen die feinen, scharfen Zähne, dann schleifte er unendlich langsam die beiden Messer aneinander, ganz nah an seinem Ohr, als wäre es Musikinstrumente, deren Klang etwas über ihre Qualität verriet.
    Sarelo war genauso alt wie ich, und doch hätte man ihn für einige Jahre älter gehalten, vierzehn oder fünfzehn, er war drahtig, und über seiner Oberlippe wuchs bereits ein dünner Schnurrbart. Man sagte ihm Eigensinn nach, genau wie seiner Mutter. Da er offenbar mit dem Ergebnis zufrieden war, legte er die Messer ab und führte ebenso wie ich die Hände zum Mund.
    «Was willst du?», fragte er.
    «Komm und hilf mir!»
    «Hast du das Huhn dabei?»
    «Ja.»
    Er eilte den Hügel hinunter, sprang über den Graben, öffnete den Sack und schaute hinein. «Mit dem da sind es zwölf.» Sarelos Hände waren zu groß geraten, seine Füße ebenso, überhaupt war einiges an ihm überraschend. Mit seiner hellen Haut und den glatten Haaren sah er nicht wie die anderen stets hungrigen Zigeunerjungen aus, die gelegentlich ins Dorf kamen und ihre Ware von Tür zu Tür anboten.
    Wenn man im Dorf nicht gesehen hätte, wie Ramina kurz nach dem Abgang des Bulibaşa einen Bauch bekommenhatte, und wenn Neper nicht erzählt hätte, wie er, angezogen von dem Schreien der einsam gebärenden Frau, die Niederkunft erlebt hatte, dann hätte man Sarelo durchaus für ein Findel- oder Ziehkind gehalten. Eines von denen, die die Zigeuner, so hieß es, irgendwo geraubt hatten.
    «Kannst du den Sack nicht alleine tragen, Schwächling?», fragte er.
    «Wenn du mich so nennst, nenn ich dich Zigeuner.»
    Er zuckte mit den Achseln, und ohne mich weiter zu beachten, sprang er mit Leichtigkeit zurück über den Graben. Ich folgte ihm in einigem Abstand.
    «Ist deine Mutter da?», fragte ich.
    «Sie ist immer da, das weißt du. Wenn sie einmal nicht mehr zu Hause sein wird, geht die Welt unter.»
    Vor dem Haus holte er das Huhn heraus und steckte es in einen Käfig, in dem sich elf andere befanden. Er hatte sie offenbar in den letzten Monaten gesammelt, anstatt sie seiner Mutter zu überlassen, um seine Messer einer letzten entscheidenden Prüfung zu unterziehen. Ich tauchte wie schon oft in die Dunkelheit des einen der zwei Zimmer ein, aus denen das Haus bestand. In einer Ecke war eine Art Küche eingebaut, eine Nische mit einem Ofen, mehreren Kochtöpfen, Schüsseln und Tellern.
    Der Ofen wurde auch zum Heizen gebraucht, und weil es nirgends einen Abzug oder einen Schornsteinschacht gab, sammelte sich der Rauch im Raum und gesellte sich zu den Dämpfen der Gerichte Raminas hinzu. Zusammen mit den Ausdünstungen der beiden und dem Geruch der Seifen, die sie offenbar im Nebenzimmer herstellte, entstand so ein würziges Gemisch aus Zwiebeln,Holz, Schweiß und Fett. Ein Geruch, der mir nicht unangenehm war und den ich dem von zu Hause vorzog.
    Meine Augen brauchten etwas Zeit, um sich an die Mischung aus Dunkelheit und Dampf zu gewöhnen. Ich erwartete, Ramina auf dem Bettsofa vorzufinden, nah beim Fenster, wo sie mich immer empfing, als ob sie sich von einem Besuch zum nächsten nicht von der Stelle gerührt hätte. Und doch, ebenfalls von einem Besuch zum nächsten, nahm sie so sehr zu, dass ihr unförmiger, aufgeblähter Körper inzwischen den meisten Platz einnahm und für mich nur noch eine schmale Ecke übrig blieb.
    Sie war aber nicht dort, sondern nebenan, von wo seltsame Geräusche kamen, als ob sie etwas aufeinanderstapelte und es dann hin und her schob. Sarelo hatte den

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