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Jacob beschließt zu lieben - Roman

Jacob beschließt zu lieben - Roman

Titel: Jacob beschließt zu lieben - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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Jahre unmöglich vom Fleck rühren können.
    Auch Ramina klagte nie darüber, dass ich sie mindestens um die Hälfte dessen brachte, was sie inzwischen als ihr angestammtes Recht ansah. Sie kannte nur allzu gut meine Kurzatmigkeit und meine schwachen Muskeln. Meine Organe und meine Muskeln, pflegte Vater zu sagen, passten besser zu einem alten Mann als zu einem Jungen. Man war sich in der Familie einig, unter vorgehaltener Hand, dass ich nicht alt werden würde.
    Es gibt verschiedene Arten, krank zu sein: leise und verschwiegen, als ob man es vor anderen verstecken wollte, wie eine unauslöschliche Schuld. Oder indem man laut röchelt und hustet und den stockenden Atem, die verschleimten, geschwollenen Bronchien, den glühenden, entzündeten Körper wie ein endloses Ritual der eigenen Gefährdung anbietet. Ich war einer, der mal still litt, nur um ein anderes Mal alle in große Erregung zu versetzen. Und doch war ich nicht unglücklich.
    Den ganzen Weg bis zum Zigeunerhügel würde ich den Sack eher hinter mir schleppen, als ihn zu tragen. Die Spur zeichnete sich jedes Mal breit und klar im Staub ab, von der Ecke unseres Hofes, wo ich den Sack abstellte, bis zum Trampelpfad, der hinauf zu Ramina führte. Jeden Freitagnachmittag konnte man dieser Spur quer durchs Dorf folgen, als ob eine riesige Schnecke sie hinterlassen hätte.
    Sie führte vorbei an der Kirche und der Kneipe, an den Stallungen und dem Getreidespeicher, die inzwischen uns gehörten, an der Abzweigung zur Mühle und an der Schule. Später ließ die Spur das Dorf hinter sich undkreuzte die Dorfgrenze, jene imaginäre Linie, die niemand gesehen hatte und doch jeder kannte.
    Nach einigen Hundert Metern hörte sie plötzlich auf, als ob der Verursacher sich in Luft aufgelöst hätte. Man musste an der Stelle über einen mit Unkraut und Feldblumen überwachsenen Graben springen, um auf der anderen Seite auf den kaum sichtbaren Pfad zu stoßen. Ich warf den Sack hinüber, wobei er meistens im Graben landete, und nahm dann Anlauf, aber auch ich kam nicht weiter als meine Last. Am Schluss musste ich ihn oft hochschieben und dann selber aus dem Graben klettern.
    Normalerweise war meine kleine Reise ereignislos, und ich näherte mich Ramina in Etappen, nachdem ich unter einem Baum, auf einem von der Sonne gewärmten Stein oder im hohen Gras einer ungemähten Wiese geruht hatte. Doch an jenem Tag war es anders.
    Ich machte hinter einem Geräteschuppen Rast und war damit beschäftigt, das Huhn wieder einzufangen, das jede Möglichkeit nutzte, um sich seinem Schicksal zu entziehen. Zwei Tage noch würde es leben, dann würde es Raminas und Sarelos Bauch wärmen. Es sei denn, Sarelo machte ihm früher den Garaus, um die Schärfe seiner Messer zu prüfen. Denn die Hühner waren seine besten Übungsobjekte.
    Die Exerzierenden und Lehrer Kirsch hatten sich an mich herangepirscht, als ob ich ein Feind wäre, den sie überraschen wollten. Sie hatten darin Übung, und doch würden in wenigen Jahren fast alle mit den Füßen voran ins Dorf zurückgetragen werden.
    «Du bist die Schande des Dorfes. Du schleppst Hühner für die Zigeunerin und läufst barfuß wie ihr Sohn», spottete einer von ihnen.
    «Das sind wir ihr schuldig», erwiderte ich.
    «Als Schwabe schuldet man einer Zigeunerin gar nichts.»
    Der Lehrer hielt sich im Hintergrund, doch er bewachte seine Jungen, wie wenn man ungestümen Welpen mehr Leine lässt, damit sie sich ein wenig austoben. Er lehnte mit verschränkten Armen an der Ecke des Schuppens und hatte die Mütze tief ins Gesicht gezogen.
    Der junge Mann, der mich angesprochen hatte und den ich nur entfernt kannte, hob mich hoch, als ob ich gar nichts wöge. Er warf mich dem Zweiten zu und dieser dem Dritten. «Da fliegt ein Huhn davon und ist doch nur unser Jacob!», rief der eine vergnügt. «Bald wird er Federn lassen», wurde ihm geantwortet. Sie wiederholten das eine Weile, bis sie mich auf ein Zeichen des Lehrers hin auf den Boden fallen ließen.
    Ich stand auf und wollte weglaufen, als der Lehrer meinen Namen rief. Er kam näher, hockte sich hin und klopfte mir den Staub von den Kleidern.
    «Jacob, anstatt ein Gewehr zu tragen, trägst du ein Huhn herum. Tut denn das ein deutscher Junge?» Weil ich schwieg, fragte er bestimmter: «Tut er das?»
    «Nein, Herr Lehrer.»
    «Wieso tust du es dann?»
    «Ich bin zu klein für ein Gewehr. Ich bin erst dreizehn.»
    « Bald haben wir Krieg, vielleicht schon morgen. Dann wird es darum gehen, dass jeder

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