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Jacob beschließt zu lieben - Roman

Jacob beschließt zu lieben - Roman

Titel: Jacob beschließt zu lieben - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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folgte ihr bereitwillig, denn wer würde nicht viel lieber ihr glauben als dem anderen schlecht riechenden Gerücht? Heute noch, wenn ich manchmal überprüfe, ob ich nicht doch nach meiner Geburt rieche, flüstere ich mir zu: «Ramina hatte doch recht.»
    Dann sehe ich uns gemeinsam auf dem abgewetzten Sofa sitzen. Ihr Fleisch breitet sich nach allen Seiten aus, die Fliegen wandern auf ihr umher, magisch angezogen von einem solchen Koloss. Das Ungeziefer kriecht herum. In solchen Momenten kann ich nicht anders, als mich ihr näher als Vater und Mutter zu fühlen. Für einen Augenblick wird die wahrscheinlichere Version von der anderen, erfundenen, überstrahlt.
    Doch man könnte die erste für genauso unwahrscheinlich halten wie die Raminas. Dieser Eindruck wurde noch verstärkt, als Mutter sich beharrlich weigerte, dazu Stellung zu nehmen. Mit zwei ebenso unwahrscheinlichen Geburten allein gelassen, beschloss ich, die aus Raminas Mund für wahr zu halten.
    * * *
    Meine zweite Geburt, dafür bürgte Ramina, fand in unserem Haus in Temeschwar statt. Dorthin hatte sich Mutter zurückgezogen, um es in den letzten Monaten ihrer Schwangerschaft bequemer zu haben und vor Vaters aufbrausender Art zu flüchten. In einer anderen Variante wollte sie im Gegenteil näher bei ihm sein, da er am Hafen den Abtransport unserer Tiere und unseres Getreides nach Österreich überwachte.
    In Raminas Erzählung blieb unklar, wieso Mutter eineFrühgeburt hatte, denn dass ich ein Frühchen war, stand auch für sie außer Frage. Das eine Mal war Mutter die Kellertreppe hinuntergestürzt, als sie Speck holen wollte. Das andere Mal bekam sie die Wehen auf der Straße, als sie nach Vater suchte, dem eine Neigung zu Seitensprüngen nachgesagt wurde. Und Temeschwar war für einen Mann wie ihn voller Versuchungen, das wusste sie.
    Es gab Direktorsfrauen, die nachmittags den Kaffee im Café Wien einnahmen und sich dann den restlichen Tag langweilten. Wohlriechende Künstlerinnen, die gerade aus Paris zurückgekehrt waren und sich angeregt über die Vorteile der Großstadt gegenüber der Provinz unterhielten. Dazu jede Menge Gouvernanten und einfache Kindermädchen, die oft kräftige, vor Gesundheit strotzende Bauerntöchter waren, die für ein wenig Lohn und ein Bett in der Küche bei einer bemittelten Familie arbeiteten. Gerade bei diesen kannte sich Vater gut aus, sagten böse Zungen.
    Jedenfalls wurde Mutter nach Hause gebracht und ins Bett gelegt, und als man nach einem Arzt schicken wollte, verlangte sie nach Ramina. Es blieb im Dunkeln, wieso sie das tat, da doch die Ärzte in der Stadt kaum solche Stümper waren wie Neper. Als Ramina ankam, hatten sich schon etliche Leute in der Stube versammelt, Nachbarn und Geschäftspartner jenes Mannes, der sich für meinen Vater ausgab und der mit ihnen auf seinen Sohn anstoßen wollte. Denn er war sich sicher, dass es ein Junge sein würde. Er witzelte: «Der Junge beeilt sich, meine Geschäfte zu übernehmen.» Oder: «In diesem Tempo wird er reicher werden als ich.» Aber ich beeilte mich gar nicht, ich war sogar ausgesprochen langsam.
    Hin und wieder horchte er an der Tür, hinter der sichMutter und Ramina befanden, aber lange, viel zu lange für einen wie ihn war nichts zu hören. Die Elektrische fuhr seit einer Weile nicht mehr, und manche Gäste, ein wenig enttäuscht, machten sich bereit, nach Hause zu gehen. Sie hatten Mäntel und Hüte an, doch Vater nahm sie ihnen wieder ab und zerrte sie in die Stube zurück.
    Er wurde unzufriedener und mürrischer, er lief unruhig umher, während die anderen unschlüssig herumstanden oder sich wieder hingesetzt hatten. Ich war dabei, ihm eine Niederlage zuzufügen, denn ich richtete mich nicht nach ihm. Er schenkte den Leuten immer wieder Schnaps ein, und bald darauf setzte eine allgemeine Erheiterung ein. Die Männer lockerten den Krawattenknopf und die Frauen ihre hochgeschlossenen Blusen.
    «Das kann noch Stunden dauern», bemerkte der Hafenvorsteher, ein rundlicher, ständig schwitzender Mann.
    «Der Junge kommt bald, ein Obertin ist zuverlässig», erwiderte Vater, trat wieder auf die Tür zu und öffnete sie. «Wann ist es so weit?», fragte er in den Raum hinein.
    «Sie sind der Erste, der es erfährt. Und jetzt raus!», herrschte ihn Ramina an.
    Als die halbe Nacht vorbei war und manche schon mit dem Kopf auf der Tischkante schliefen, musste Vater einlenken und sie alle gehen lassen.
    Ich kam nicht an jenem und auch nicht am nächsten Tag auf die

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