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Jacob beschließt zu lieben - Roman

Jacob beschließt zu lieben - Roman

Titel: Jacob beschließt zu lieben - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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deutsche Junge eine Waffe bedienen kann und körperlich tüchtig ist.»
    «Vater sagt …», begann ich.
    «Was dein Vater sagt, ist uns egal. Er und dein Großvater denken mehr an sich selbst als an das Volk. Lange wird das nicht mehr gut gehen. Was denkst du?»
    «Ich weiß es nicht, Herr Lehrer.»
    Er drehte mich um, steckte mir das Hemd in die kurze Hose und säuberte ihre Rückseite. «Wir wollen nicht, dass dein Vater etwas merkt, nicht wahr?»
    «Jawohl, Herr Lehrer.»
    «Wie grüßt ein deutscher Junge?»
    «Heil Hitler, Herr Lehrer!»
    «Gut, wir sehen uns morgen in der Schule. Vergiss nicht deine Hausaufgaben. Und zieh wenigstens ordentliche Schuhe an, wenn schon keine Stiefel.» Kein einziges Mal hatte die Stimme des Lehrers gestockt, kein einziges Mal hatte er nach Luft geschnappt, wie er es sonst wegen seines Asthmas tat.
    Einer seiner Jungen fing das Huhn ein, das inzwischen friedlich auf dem Feld herumgepickt hatte, und brachte es zurück. Er zeigte es den anderen wie eine Trophäe, doch ich wusste, was er damit tun wollte. «Auf zum Hühnererschlagen!», rief er. Es war ein beliebtes Spiel unter den Dorfjungen. Das Leben des Federviehs hatte sich plötzlich von zwei Tagen auf nicht einmal eine halbe Stunde verkürzt. Doch es hatte Glück.
    Der Junge, der aus einem anderen Dorf zu sein schien, denn ich kannte ihn überhaupt nicht, ließ den Vogel fallen, als er etwas erblickte, was seinem Appetit aufs Spielen mehr entgegenkam als ein benommenes, mageres Huhn. Das Serbenmädchen kam mit einer Schachtel in den Armen quer übers Feld. Ich kannte es flüchtig, es ging mit mir in die Schule und auch wiederum nicht, denn es besuchte den Unterricht auf Rumänisch, der im selben Raum hinter einem Vorhang gehalten wurde.
    Ich wusste, dass sie am Dorfende wohnte und ihrer Mutter, die Schneiderin war, aushalf. Sie war oft mit denKleidern und Anzügen, die ihre Mutter irgendwem genäht hatte, durchs Dorf marschiert. Auch Großvater trug eine Hose und eine Weste aus ihrer Hand. Der junge Mann war mit wenigen Sprüngen bei ihr, packte sie am Handgelenk und zog sie hinter sich her bis zu uns. Dann ging er zurück, um die Schachtel aufzuheben, die sie erschrocken fallen lassen hatte.
    Das Mädchen war erstarrt, nur in ihren Augen hatte sich eine unaussprechliche Angst eingenistet, und ihr Kinn zitterte leicht. Ich hätte es kaum für möglich gehalten, dass jemand noch kleiner und mickriger war als ich, doch sie war es. Ihr Gesicht war breit, die Augen waren wie mit Kohle gezeichnet und die Augenbrauen kräftig, fast zusammengewachsen.
    «Kannst du sie blutig schlagen, Jacob? Sie ist nur ein Serbenmädchen, dein Vater wird nichts dagegen haben», sagte der Dritte. Der, der die Schachtel an sich genommen hatte, öffnete sie, zog einen piekfeinen, neuen Anzug heraus und zerfetzte ihn mit seinem Taschenmesser. Der Lehrer war wieder so unbeteiligt wie zuvor. Regungslos schaute er mich an, als ich mich in der Hoffnung zu ihm umwandte, dass von dort irgendwelche Hilfe käme.
    Dann geschah es. Der warme Strahl, den ich bislang nur mit Mühe zurückgehalten hatte, nässte die Hose, floss an meinen Beinen hinunter und bildete eine Pfütze zwischen meinen Füßen. Die Erde, wie immer durstig zu dieser Jahreszeit, nahm die Flüssigkeit auf. «Jacob hat den Boden gedüngt», riefen sie und lachten. «Wer weiß, was da für seltsame Pflanzen sprießen.»
    Als ob sie nun voll und ganz auf ihre Kosten gekommen wären, verloren sie das Interesse und ließen von uns ab. Sie beschlossen, das Exerzieren abzubrechen und inder Kneipe ein Glas Schnaps auf den Führer zu kippen.
Die Fahne hoch! / Die Reihen dicht geschlossen!/ SA marschiert mit ruhigem festem Schritt / Es schau’n aufs Hakenkreuz / Voll Hoffnung schon Millionen / Der Tag für Freiheit / Und für Brot bricht an.
Sie sangen das Lied, bis wir sie aus den Augen verloren.
    Da waren wir nun, wir beide. Ich rannte lange dem Huhn hinterher, konnte es dann doch noch fangen und in den Sack stecken. Das Mädchen rührte sich nicht von der Stelle, sie schluchzte und hielt ihre kleinen Hände zu Fäusten geballt.
    «Du kannst dich bewegen», sagte ich auf Rumänisch zu ihr. «Sie sind weg. Wenn Ramina es erfährt, wird sie sie verwünschen. Sie ist mächtiger als der Gröfaz, weißt du?»
    Sie schaute mich mit ihren traurigen Augen an. «Wer ist der Gröfaz?»
    «Die Stimme aus dem Radio.»
    Sie steckte die Kleiderreste wieder in die Schachtel, ich hob den Sack hoch, und wir gingen

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