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Jacob beschließt zu lieben - Roman

Jacob beschließt zu lieben - Roman

Titel: Jacob beschließt zu lieben - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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anderen durchbrennt, hätte ich ihn vergiftet», pflegte sie zu sagen. Für alles hatte sie gesorgt, nur nicht für die Stilllegung seiner Lust nach jungen Frauen. Mit so einer war er eines Morgens in seinen Zigeunerwagen gestiegen und auf der Straße nach Temeschwar verschwunden.
    Ramina hatte sie eine Weile lang verfolgt. Sie hatte ein Taschentuch bei sich, das sie mit dem Monatsblut einer anderen Zigeunerin beschmiert hatte, denn sie selbst war schwanger. Sie wollte ihn damit berühren, die größte Schande für einen Zigeuner, aber sie fand ihn nicht mehr. Sie kehrte zurück und begann nach Sarelos Geburt, alles in sich hineinzustopfen, was man ihr gab.
    Ohne den Bulibaşa löste sich die Zigeunergemeinschaft nach und nach auf, bis auch der letzte Kesselflicker und Besenmacher seine Habseligkeiten auf einen Karren geladen, das magere Pferd davor eingespannt und sich in Richtung der Stadt in Bewegung gesetzt hatten. Nur Ramina war in ihrem von allen Seiten sichtbaren Haus geblieben. Obwohl sie es trotz ihres Wissens, ihrer Zaubersprüche und magischen Pflanzen nicht geschafft hatte,den Bulibaşa an sich zu binden, war sie für mich die Mächtigste von allen.
    Sie war von einer Autorität erfüllt, die keine Rechtfertigungen oder Beweise brauchte. Deshalb war meine zweite, von Ramina erzählte Geburt für mich genauso glaubwürdig. Dass Vater darin keine besondere Rolle spielte, kam mir sehr entgegen.
    «Du bist nicht auf einem Misthaufen geboren. Deine Geburt war wundersamer, als du denkst, Jacob», sagte sie immer, wenn ich ihr wöchentlich das Huhn und Brot, Mehl, Kartoffeln, Rüben, Tomaten, Kohl und Eier brachte, die Mutter noch dazugab.
    Ich hatte die ersten Jahre meines Lebens damit verbracht, von vielen Krankheiten zu genesen. Jedes Mal hatte Mutter Ramina, der sie nun neben Gott am meisten vertraute, an mein Krankenbett geholt. Ich wurde für Ramina zu einer Art Lebensversicherung, und die Anzahl der Lebensmittel, die Mutter ihr bis zu meiner Volljährigkeit zugestand, wuchs proportional zu ihrem Heilerfolg. Für das Kurieren einer Lungenentzündung wurden ihr zehn Eier zugesprochen und für das eines chronischen Durchfalls eine Schnapsflasche, monatlich und bis zu meiner Volljährigkeit.
    «Ich habe sie alle gesund gekriegt», pflegte sie ihre Kunst zu rühmen. «Nur für den jungen Georg konnte ich nichts tun, als er sich beide Augen herausgeschossen hat. Ich habe ihm sogar Umschläge mit dem Saft einer Pflanze gemacht, die
Kraut des Lebens
heißt. Normalerweise weckt sie sogar die Toten, bei ihm hat es nicht geholfen. Aber er hat auf mich als Blinder glücklicher gewirkt als vorher. Überhaupt scheint mir unser Dorf ein guter Ort für Selbstmörder und Pechvögel zu sein.»
    Am Tag, als der Krieg bei uns verspätet losging, packte ich wieder einmal den Sack für sie voll und machte mich auf zum Zigeunerhügel. Weil das Radio des Pfarrers kaputt war, dauerte der Frieden bei uns fast einen halben Tag länger. Einen halben Tag, an dem niemand starb und in Europa Ruhe herrschte. Der trockene Sommer neigte sich dem Ende zu, der Feldwächter bereitete sich auf die Sturmsaison vor, und Neper mischte seine Pülverchen im Hinterzimmer seines Hauses. Seppl, der Wirt, machte seine durstigen Kunden auf die zweite Tafel aufmerksam, die in seiner Kneipe hing:
Sauf dich voll und friss dich dick, aber halt dein Maul bei Politik.
    Einen halben Tag lang hörten wir nicht die Stimme des Gröfaz. Vater war mit seinem Verwalter draußen bei der Mühle, die er hatte bauen lassen, um nicht mehr von anderen abhängig zu sein. Auf den Feldern übten die Jungen des Dorfes in Uniform den Krieg für unsere Sache. Ein Krieg, der an jenem Tag, an dem er wirklich ausbrach, für uns ferner schien denn je.
    Ihr Anführer, Lehrer Kirsch, drillte sie mit derselben Pfeife, mit der er uns im Turnunterricht plagte. Sie warfen sich auf den Boden, sprangen in die Höhe und wirkten doch nur wie Striche in einer unendlichen Landschaft, die den Menschen erduldet hatte, seitdem er dort erschienen war. Und ihn doch oft genug auch umgebracht hatte. Man hätte lachen können über die Eifrigsten unter uns, doch ihre Waffen lehnten griffbereit an einem alten ausgetrockneten Brunnen.
    Ich verließ den Hof mit dem Sack auf der Schulter, aber schon nach wenigen Metern, außer Sichtweite, musste ich ihn wieder abstellen. Eigentlich log ich, wenn ich gegenüber den Eltern vorgab, dass ich den Sack randvollmachte, denn ich hätte ihn trotz meiner dreizehn

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