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Jacob beschließt zu lieben - Roman

Jacob beschließt zu lieben - Roman

Titel: Jacob beschließt zu lieben - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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die Stadt geschickt, aber sie waren unbeantwortet geblieben. Und wenn mal etwas kam, so waren es Versprechungen und Vertröstungen, sodass einige Familien bereits wieder abgereist waren.
    Das einzig Gute daran war, dass sie auf viele andere Lothringer gestoßen waren. Sogar die Not glich der von zu Hause. Frederick, Eva und ihre Mutter zogen mit anderen in den Stall eines Bauernpaares, das aus Marsal stammte. Sie hofften, spätestens im Frühling, wenn der Boden aufgetaut war, ein eigenes Stück Land zu haben, auf das sie ein Haus stellen konnten. Nichts Großes, ein paar Joch nur, für den Anfang.
    Im Sommer 1771 gingen die Gewässer und Sümpfe der Gegend in Fäulnis über und verbreiteten einen abscheulichen Gestank. Abends fielen Myriaden von Stechmücken über sie her, der erste Fall von Sumpffieber ließ nicht lange auf sich warten, dann folgten Dutzende mehr. Man schickte jemanden nach Temeschwar, um Ärzte zu holen, aber keiner ließ sich blicken. Alles in allem waren sie sich selbst und einer Natur überlassen, die sie vernichten konnte, wann immer sie es wollte. Auch Fredericks Schwiegermutter starb in jener Zeit. Zuerst litt sie tagelang an Schmerzen, Durchfall und brennendem Durst, dann verfiel sie in eine stumpfe Teilnahmslosigkeit, später verlor sie in den Armen ihrer Tochter das Bewusstsein.
    Im nächsten Frühjahr entschied sich Frederick, selber nach Temeschwar zu reisen, lieh sich ein Pferd, zog seine besten Kleider an und galoppierte los. Er wusste, wenn nicht bald etwas geschähe, würden sie auch in diesem Jahr nichts mehr ernten und von Almosen leben müssen.Genauso wenig, wie man sagen kann, wie er sich zur Wiener Hofkammer durchgekämpft hatte, weiß man, wie er es anstellte, bei der Temeschwarer Administration vorzusprechen. Zwei Tage später, so viel ist klar, tauchte er wieder am Horizont auf, gefolgt von mehreren Reitern und einer Kutsche. Eva war ihm entgegengelaufen, aber anstatt anzuhalten, seine junge Frau zu umarmen und sich bei ihr auszuruhen, ritt er mit den anderen an Mercydorf vorbei.
    Sie hielten erst dort an, wo der Hügel stand, der später Zigeunerhügel genannt werden sollte. Von dort aus nahmen sie ein erstes Mal Maß, überblickten das Land, und bald machten sich die Topografen und Ingenieure an die Arbeit. Eines Morgens versammelte Frederick die Lothringer um sich und sagte: «Wie ihr wisst, bin ich in Temesch war gewesen. Ich habe gedroht, dass wir uns das Land selber nehmen, wenn sie nicht bald kommen und es ausmessen. Dass wir unsere Häuser dort bauen werden, wo wir es für richtig halten, und nie Steuern bezahlen werden. Das hat gewirkt. Jetzt ist das Land ausgemessen, morgen fangen wir mit dem Hausbau an. Männer, es kommt viel Arbeit auf uns zu, also geht früh schlafen, und besauft euch nicht.»
    Noch vor dem Sonnenaufgang weckten die Frauen ihre Männer, sie aßen ein karges Mahl und tranken Schnaps, um sich aufzuwärmen. Die Frauen brachten sie bis zur Dorfgrenze und schauten ihnen nach, bis sich ihre Spur am Horizont verlor. Die Kolonne aus Karren, Pferden und Menschen hielt erst dort an, wo später Triebswetter stehen sollte. Sie begannen, die erste der vier Gruben auszuheben, aus denen sie die Erde für den Hausbau holten. Die Kneipe wurde noch vor der Kirche errichtet.
    An einem trüben, regnerischen Morgen im Jahre 1772 versammelten sie sich ein letztes Mal auf dem Hauptplatz in Mercydorf. Sie hatten alles dabei, was ihnen gehörte und die Gastgeber ihnen für wenig Geld überlassen hatten: Stühle, Tische, Schränke, Betten. Alles, was ihnen nützlich sein würde, um sich in den hinter dem Horizont auf sie wartenden Lehmhütten einfach einzurichten. Sie brauchten nur noch die Gewährsscheine zu empfangen. Jeder Familie stand eine ganze Session zur Verfügung, vierunddreißig Joch Land als Acker, Wiesen, Weide und für den Haus- und Gartenplatz. Die kinderlosen Paare bekamen nur die Hälfte. Zurück blieben einige Tote.
    Kurz vorm Dorfeingang war eine Bühne aufgestellt worden, auf der die Beamten aus Temeschwar sowie Baron Alvinczy, der Grundherr von Triebswetter, Platz nahmen. Die Straße wie auch das umliegende Feld waren mit Kutschen, Karren und Pferden, mit Männern, Frauen und Kindern und ihrem Gepäck überfüllt. Der Regen fiel unterschiedslos und erbarmungslos auf sie alle, Menschen wie Tiere. Er kroch unter die Kleider und in die Schuhe, in den Mund und die Augen. Der Schlamm war so dick, dass sie nur mit Mühe vorankamen. Nur die Pferde standen

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