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Jacob beschließt zu lieben - Roman

Jacob beschließt zu lieben - Roman

Titel: Jacob beschließt zu lieben - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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sind von solchem Dienst befreit und ebenso von der Pflicht, Ihr Haus als Winterquartier der Armee zur Verfügung zu stellen. Dafür werden Sie mit vierundzwanzig Gulden pro Jahr entschädigt. Es steht Ihnen natürlich zu, außerdem einen eigenen Hof zu haben. Die erste Aufgabe werden Sie schon in wenigen Tagen zu erfüllen haben. Dann werden die Tiere, die Samen und die Gerätschaften eintreffen, welche die Administration dem Dorf für die Dauer von drei Jahren überlassen wird. Nach Ablauf dieser Frist muss alles zurückbezahlt werden. Dabei werden Sie vorerst von Ihrer Frau unterstützt werden müssen, um alles gerecht zu verteilen, den Listen gemäß, die Sie noch erstellen müssen.»
    Der Baron überreichte Frederick, der sich vor ihm tief verbeugte, den Richterstock. «Gibt es etwas, das Sie als Erstes in Angriff nehmen, Richter Obertin?»
    Frederick überlegte nicht lange. «Ich möchte, dass unsere Kirche eine Stimme hat. Deshalb möchte ich eine große Glocke in Auftrag geben und hoffe, dass uns die Administration dafür das Geld leiht. Diese Glocke soll die Taufe unserer Kinder ankündigen und unsere Toten zumFriedhof geleiten. Sie soll uns von den Feldern nach Hause holen und uns jedes Mal an all die Lothringer erinnern, die den Weg hierher nicht geschafft haben.»
    Dann wandte er sich an alle anderen: «Willkommen in Triebswetter! Arbeitet hart und vermehrt euch, dann haben wir hier auch eine Zukunft!» Er stieg von der Bühne herab, die hohen Herren wurden wieder wie Mehlsäcke zu ihren Kutschen getragen, und die Menschen traten über die Schwellen ihrer neuen, notdürftig errichteten Häuser. Während im überfüllten Mercydorf kaum an mehr als einen flüchtigen, ängstlichen Beischlaf hinter einem Stall oder auf freiem Feld zu denken gewesen war, nahmen jetzt die Männer auch ihre Frauen in Besitz, nach denen es ihnen viel zu lange gedürstet hatte.

5.
Kapitel
    D er Viehwaggon umhüllte mich wie einst Raminas Körper. Für kurze Zeit schirmte er mich ab und schenkte mir Ruhe. Wir waren durch den nach dem Bombardement nur notdürftig wiederaufgebauten Bahnhof getrieben worden, an unbeteiligten oder verwunderten Reisenden vorbei, die um sich selbst fürchteten. Wir hatten unsere Bündel in die dunklen Mäuler geworfen, die sich auf einem der hinteren Gleise vor uns öffneten, und waren dann hinterhergeklettert.
    Man empfing uns, die Nachzügler, nicht freudig, man murrte oder nahm uns im besten Fall nicht wahr. Ich tauchte ein in die Masse der Leiber, wir waren jetzt alle gleich, unterschieden uns nur durch den Platz, den wir ergattern konnten. Manche hockten bei der Tür oder neben einem Spalt, um besser atmen und hinaussehen zu können. Andere hatten sich lieber in eine wärmere, windgeschützte Ecke geflüchtet.
    Als man uns auf die Waggons verteilt hatte, hatten für einen Moment Chaos und Lärm geherrscht. Die meisten meines Dorfes wurden nach vorn gebracht, während ich zu einem der hinteren Waggons getrieben wurde. Nun flüsterte man nur noch, wenn man überhaupt etwas sagte, als ob man schon beschlossen hatte, sich selbst zum Verschwinden zu bringen. Ich kauerte mich an einem Guckloch neben einen Jungen, der wie Espenlaub zitterte.
    «Ist dir kalt?», fragte ich. Er schüttelte den Kopf.
    «Was werden sie mit uns machen?», fragte er zurück. Ich zuckte die Achseln.
    «Man bringt uns nach Sibirien. Das tun sie doch immer», flüsterte einer. Ein Raunen ging durch den Waggon.
    «Sibirien? Wo ist das denn?», fragte der Junge.
    «Das ist am Ende der Welt. Wenn wir es überhaupt bis dahin schaffen. Wenn wir es schaffen, werden wir uns wünschen, es nicht geschafft zu haben», antwortete dieselbe Stimme. Noch mehr Raunen, beunruhigtes Murmeln, war zu hören.
    «Was haben sie mit uns dort vor?», wollte ich wissen.
    »Frag nicht so dumm. Dasselbe, was wir mit ihnen vorhatten», sagte eine Frau und zog den Mantel enger um sich.
    Diesmal blieb eine Reaktion aus, denn jeder war mit seinem eigenen Sibirien beschäftigt. Dann rief einer: «Sie sind da!» und ohne zu wissen, wen er meinte, aber in der Hoffnung, dass es etwas Gutes bedeutete, drängten wir uns an die Tür, die Spalten und Löcher in den morschen Bretterwänden.
    Wir spähten hinaus und entdeckten vor dem Bahnhof kleine Gruppen, die versuchten, zu uns durchzukommen. Sie waren aus den von den Russen heimgesuchten Dörfern nach Temeschwar gekommen, um ihren Söhnen und Töchtern, Ehemännern und -frauen, Vätern und Müttern noch etwas

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