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Jacob beschließt zu lieben - Roman

Jacob beschließt zu lieben - Roman

Titel: Jacob beschließt zu lieben - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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würde, so würde es wie ein gewöhnlicher Überfall aussehen, wie sie in Wien sicher häufig vorkamen. «Er ist selber schuld. So viel Geld bei sich zu tragen und dann alleine loszumarschieren, das kann nicht gut gehen», würde man sagen. Außerdem hatte er, Frédéric, ein gutes Alibi. Er war den ganzen Tag bei der Hofkammer gewesen.
    Auf dem Rückweg wurde die Musik immer lauter, Frédéric erreichte wieder die Kneipe, sah durch dasselbe Fenster, dass der Händler nun einem jungen Mann zutrank, sonst aber eine ganz andere Klientel da war. In der Mitte der Stube hatte man Tische und Bänke weggeräumt, und es wurde lebhaft getanzt. Leichte Mädchen wurden von ihren Tanzpartnern fest im Griff gehalten, und es wurde heftig getrunken.
    Es waren nur noch wenige Händler und Schiffer da, dafür aber umso mehr Gesindel, Lehrlinge und Handwerker, Dienstmädchen, Landstreicher und Hafenarbeiter. Die ganze Wiener Halbwelt schien sich dort zu treffen. Außerdem hockten viele seiner Mitreisenden da, stumm und entrückt, wie gelähmt durch die Sorge, in Wien stecken zu bleiben. Frédéric bezahlte beim Wirt für ein Zimmer mit Ofen, dann lief er zum Kai, um seine Frau und die Schwiegermutter zu holen.
    «Ich wusste, dass du uns nicht im Stich lässt», sagte seine Frau und umarmte ihn freudig.
    «Packt eure Sachen zusammen, ich habe ein Zimmer für uns im Wirtshaus.»
    «Ein Zimmer? Wir haben doch gar kein Geld dafür», sagte seine Schwiegermutter ungläubig.
    «Jetzt haben wir welches.»
    Noch immer hob er nicht den Blick, nicht einmal, als Eva dazu ansetzte, ihn nach der Herkunft des Geldes zu fragen. Als sie dann im spärlich beleuchteten Zimmer standen und er das Geld auf den Tisch legte, blickten ihn die Frauen fragend und erschrocken an. Doch auch sie wussten die Vorteile zu schätzen, die ihnen das Geld in ihrer Lage verschaffte. Während die anderen Lothringer in der rauen Wiener Nacht ausharren mussten, brachte ihnen der Wirt sogar etwas zu essen und Wein.
    Als die Alte schnarchend eingeschlafen war, schlichen sich Frédéric und Eva leise aus dem Zimmer. Sie tanzten den ersten Tanz ihres gemeinsamen Lebens und küssten sich in einem der vielen dunklen Räume, in den sich, dem Stöhnen und Schreien nach zu urteilen, auch viele andere Paare zurückgezogen hatten. Als sie vom Wein und Tanzen müde waren, setzten sie sich neben den jungen Mann, der mit dem Händler getrunken hatte. Dieser hatte es irgendwann aufgegeben und war entnervt aufgestanden. «Dann sieh doch zu, wie du dein Schiff loswirst, du sturer Bock», hatte er gemeint und war in die Nacht verschwunden.
    Frédéric stieß mit dem Mann an und fragte ihn: «Hat er dir zu wenig geboten?»
    «Ja. Vater hat mir genau gesagt, was ich annehmen soll und was nicht. Jetzt sitze ich hier mit leeren Händen.»
    «Du würdest nicht etwa bis ins Banat fahren? Ich würde dich gut bezahlen.» sagte Frédéric.
    «Sicher nicht. Dann kann ich ja gleich dort überwintern.»
    Da kam Frédéric ein neuer Gedanke. Hatte nicht er die Männer auf der letzten Etappe nach Wien geführt? Hatten sie nicht seinen Befehlen gehorcht, das Schiff in den Kanal manövriert und es sicher bis zum Hafen gesteuert? Was konnte noch schlimmer sein als das, was sie schon erlebt hatten? Er schickte seine Frau nach oben und legte dem Schiffer den Arm um die Schulter. «Ich glaube, wir beide könnten ins Geschäft kommen», flüsterte er ihm ins Ohr.
    Als er zu später Stunde wieder im Zimmer war und die schlafenden Frauen anschaute, die ihm vollkommen ausgeliefert waren, stieg zum ersten Mal in seinem Leben ein zärtliches Gefühl in ihm auf. Er würde dafür sorgen, dass sie keinen Mangel litten. Er würde Kinder mit Eva haben, am besten einen Sohn, dem er später den Hof überlassen könnte. Er würde alles tun, damit ihre Reise nicht vergeblich wäre. Denn endlich hatte er eine Familie.
    Am nächsten Morgen befahl er seinen Leuten, denn so sah er sie jetzt, sich bereitzuhalten. Sobald die Beamten sie ziehen ließen, würden sie ihre Reise auf dem neuen Schiff fortsetzen. Bald erschienen vier uniformierte Männer am Kai, sie führten einen Stuhl, einen Tisch, einen Koffer, eine Mappe und ein Tintenfass mit sich, einer von ihnen schien einen höheren Rang als die anderen zu haben. Dieser nahm Platz, stellte den gefiederten Hut auf den Tisch, das Tintenfass und die Mappe, aus der er Schreibzeug und Papier holte. Blasiert strich er sich eine Strähne aus dem Gesicht, dann erst blickte er sich

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