Jaeger
lächelte in sich hinein. Bei Dee wusste man nie, woran man war. Es war unmöglich vorherzusagen, wie sie sich verhalten würde, in welcher Laune sie sein, was sie sagen oder auch nur welche Kleider sie tragen würde. Diese Stimmungsschwankungen waren in der Vergangenheit immer sehr unterhaltsam gewesen. Und gefährlich. Aber gerade das schätzte er so an ihr. Falsch. Er liebte es. Sie war seine ganz persönliche Switch Bitch …
»Ich weise nur gerade unseren Freund ein, mein Schatz«, ließ er sie wissen.
Sie sah ihn fragend an.
»Schadensbegrenzung. Ehe es zu spät ist.«
Falls Dee etwas darauf erwidern wollte, wurde sie durch das Klingeln des Telefons daran gehindert. Keiner der beiden machte Anstalten, an den Apparat zu gehen.
»Wahrscheinlich wieder die Polizei«, sagte Sloane. »Sie haben es gestern Abend schon versucht. Wir tun einfach so, als wären wir nicht da.«
Dee schwieg.
»Ich habe der Haussklavin entsprechende Befehle erteilt. Sie werden nicht durchkommen.«
Noch immer keine Reaktion.
Sloane sah zwischen dem Golem und Dee hin und her und überlegte, wer von den beiden unbeteiligter wirkte. Er konnte sich nicht entscheiden.
Da trat die Haussklavin ein. Sie hatte das Telefon bei sich, eine Hand über der Muschel. Sloane funkelte sie drohend an. »Du weißt, dass wir nicht gestört werden wollen«, sagte er leise. »Ich habe dir strengste Anweisungen erteilt. Willst du etwa bestraft werden?«
Zitternd reichte sie ihm das Telefon. »Ich glaube … ich glaube, Sie sollten da rangehen, Sir.« Dann stand sie mit gesenktem Kopf da, als erwarte sie Schläge.
Er nahm das Telefon und unterdrückte seinen aufsteigenden Zorn. »Sloane.«
»Hallo, Michael.«
Es dauerte einige Sekunden, bis er die Stimme zugeordnet hatte. Dann begriff er, wieso die Haussklavin seinen Befehlen zuwidergehandelt hatte. Sie war einer Bestrafung entgangen. Es sei denn, sie wollte trotzdem bestraft werden.
»Hallo, Helen«, sagte er. »Was für eine angenehme Überraschung.«
Bei der Nennung des Namens schnellte Dees Kopf herum, und sie starrte den Hörer an, als könne sie die Frau am anderen Ende der Leitung sehen. Sie wusste, wer am Telefon war.
»Jeff ist tot«, sagte Helen Hibbert.
»Ich habe davon gehört«, antwortete Sloane. »Mein Beileid.«
»Sie wissen, weshalb ich anrufe. Wir müssen uns treffen. Ich komme zu Ihnen.«
Sloane rang sich ein Lächeln ab. »Aber sicher, Helen. Immer wieder ein Vergnügen.«
Die Leitung war tot. Er reichte den Apparat der Haussklavin wieder zurück, die ihn entgegennahm und das Zimmer verließ. Dees Blick war auf ihn geheftet.
»Wollen wir hoffen«, sagte er, »dass es für eine Schadensbegrenzung nicht schon zu spät ist.«
Die anderen zwei schwiegen.
53 Der Nebel löste sich allmählich auf. Noch hatte die Sonne sich nicht durchgesetzt, aber immerhin konnte Mickey nun die dürre, hochaufgeschossene Gestalt von Rechtsmediziner Nick Lines ausmachen, der neben dem zweiten Zelt stand. Er sah aus wie ein Gespenst oder wie der Sensenmann, der darauf wartete, die Seelen der Verstorbenen zu sich ins Jenseits zu holen. Er winkte Mickey zu und verschwand dann unter dem Zeltdach. Mickey wurde das Gefühl nicht los, dass er, indem er Lines folgte, die Schwelle zu einer anderen Welt überschritt.
In gewisser Hinsicht traf das sogar zu. Phil Brennan hatte es ihm einmal erklärt, nachdem er ein Bier zu viel getrunken hatte.
»Die meisten Menschen«, hatte Phil gesagt, »leben in der normalen Welt. In der Welt des Alltags: Wecker stellen, von neun bis fünf arbeiten, abends East Enders und samstags essen gehen. Aber wir nicht, Mickey. Wir nicht.«
Mickey hatte ihm zugehört. Schlimmstenfalls, hatte er gedacht, würde er dem Team am nächsten Morgen eine lustige Anekdote darüber erzählen können, was der Boss so alles verzapfte, wenn er zu tief ins Glas geschaut hatte.
»Wir stehen auf der Schwelle. Wir sind die Torwächter zu einer anderen Welt. Zu einer Welt, in der die Toten lebendig sind, die Vergewaltigten, die Verstümmelten … die Vergessenen. Die Blinden und die Stummen. Die Menschen in der normalen Welt wollen von dieser anderen Welt nichts wissen, Mickey. Sie wollen nicht mal daran denken, dass es sie überhaupt gibt. Denn wenn sie es wüssten, wenn sie wirklich wüssten, wie es dort aussieht … wären sie gar nicht mehr in der Lage, morgens aufzustehen.«
Mickey hatte zustimmend genickt.
»Und es ist unsere Aufgabe – deine, meine, Annis, die unseres Teams …
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