Jaeger
vierundzwanzig Stunden tot. Eher weniger.«
»Danke. Irgendeine Ahnung, wer er war? Was er hier gemacht hat?«
Nick Lines sah Mickey nicht einmal an. »Ich kümmere mich nur um die Biologie. Die metaphysischen Fragen überlasse ich Ihnen.«
»Danke, Nick.«
»Jederzeit.« Nick Lines erhob sich. Sein spöttisches Lächeln war noch nicht ganz verflogen. »Aber eins muss ich doch sagen. Der Täter war derselbe wie der, der die beiden Hunde dort drüben getötet hat, daran besteht wohl kein Zweifel. Dieselbe Art der Kraftausübung, Angriff auf dieselbe Körperregion. Hals und Nacken. Eine kleine Schwachstelle mit einer so lebenswichtigen Aufgabe.«
»Verrät uns das irgendwas über ihn?«
Nick Lines zuckte die Achseln. »Wenn Sie unbedingt darauf bestehen, dass ich Ihre Arbeit für Sie mache, würde ich sagen, dass er nicht zum ersten Mal getötet hat. Wahrscheinlich ist er ein Profi, zumal er genau wusste, wo er zupacken musste.«
»Ein Auftragskiller?«
Lines schüttelte den Kopf. »Tut mir leid, die Fragestunde ist vorbei. Sie werden sich Ihre Antworten woanders suchen müssen.«
Mickey machte Anstalten zu gehen. Seine Meinung zu Nick Lines hatte sich durch die jüngste Begegnung nicht geändert, und er war froh, der Gesellschaft des Mannes entkommen zu können.
Doch dann hielt Lines ihn zurück. Zum allerersten Mal sprach er ihn direkt an. »Wie geht es ihm?«
Auch diesmal wusste Mickey gleich, von wem die Rede war.
»Keine Veränderung, soweit ich informiert bin. Bestimmt sagen sie uns Bescheid, sobald es was Neues gibt.«
Nick Lines nickte seufzend. »Es ist immer schlimm, wenn es einen aus den eigenen Reihen trifft, nicht wahr?«
»Ja«, sagte Mickey. »Das stimmt.«
Es war das erste Mal, dass er das Gefühl hatte, auf derselben Seite zu stehen wie Nick Lines.
54 Als Tyrell die Augen aufschlug, stellte er fest, dass er ganz woanders war als erwartet.
Keine grauen Wände, keine vergitterten Fenster. Keine dünne Bettdecke. Nichts Vertrautes, keine Sicherheit. Nur überall Licht. Und ein Krampf, der sich wie Pflanzenwurzeln immer tiefer in seinen Körper hineingrub.
Er versuchte die Glieder zu strecken und sich aufzusetzen. Sein Rücken schrie vor Schmerz, also ließ er es lieber bleiben. Sah sich stattdessen um. Versuchte sich einen Überblick über seine Umgebung zu verschaffen. Sein Nacken tat weh. Durchs Fenster fiel Tageslicht herein. Bäume. Nebel. Ihm war, als könnte er den Nebel in seinen Knochen spüren. Seine Muskeln waren steif. Dann erinnerte er sich.
Das Auto. Sie hatten im Auto geschlafen.
Wenn man das überhaupt schlafen nennen konnte. Er war einfach irgendwann weggedämmert, halb vor Angst, halb vor Erschöpfung, und fühlte sich kein bisschen ausgeruht. Langsam fiel ihm auch wieder ein, wie sie hierhergekommen waren.
Sie hatten fliehen müssen. Die Frau hatte am Steuer gesessen, er auf dem Beifahrersitz, das kleine Mädchen hinten auf der Rückbank. Sie hatte geweint und geschrien. Tyrell konnte es ihr nicht verübeln, schließlich hatten sie mit ansehen müssen, wie ein grauer Riese im Garten aufgetaucht war, mit den Hunden gerungen und sie schließlich brutal getötet hatte. Dann war der graue Riese ums Haus gegangen und hatte Jiminy Grille erwürgt.
Sie hatten nicht abgewartet, bis er zu ihnen kam.
Sie waren in das silberne Auto gesprungen, das aussah wie eine Kiste, und waren davongerast, bis ihnen irgendwann das Adrenalin ausging und die Straße zu Ende war. Er hatte versucht, das kleine Mädchen zu beruhigen, hatte ihr gesagt, dass alles gut werden würde und dass sie nicht traurig sein müsse. Die Frau hatte ihn angefahren, er solle das Maul halten und aufhören, dem Balg Lügenmärchen zu erzählen. Da war ihm selbst nach Weinen und Schreien zumute gewesen.
Er unternahm einen weiteren Versuch, sich hinzusetzen, und bewegte sich diesmal ganz vorsichtig, damit sein Rücken nicht wieder streikte. Es gelang ihm tatsächlich, sich in eine aufrechte Sitzposition zu bringen. Er warf einen Blick nach hinten. Dort saß Josephina mit weit aufgerissenen Augen, starr vor Angst. Sie hatte die Hände zwischen die Schenkel gepresst.
»Geht’s dir gut?«, fragte er sie.
»Pipi … Ich muss Pipi …«
Erneut sah er sich um. Die Frau saß mit zurückgelehntem Kopf auf dem Fahrersitz. Ihre Augen waren fest geschlossen, der Mund stand offen. Sie schlief.
»Na, dann komm …«
Er öffnete die Wagentür und streckte seine steifen Beine. Josephina schaffte es, selbständig die
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