Jäger in der Nacht: Kriminalroman (German Edition)
hinter ihm: »Du weißt wen, Junge.«
Eddie fuhr herum, sah jedoch niemanden. Der zweite Mann musste in der Scheune sein.
»Noch ein Bulle?«
»Ja«, erwiderte die unsichtbare Stimme, aber überzeugend klang es nicht.
Eddie wartete nicht, was die beiden Männer tun würden. Mit gesenktem Kopf begann er zu rennen, in Richtung Wald, weil Willie zwischen ihm und dem Ort stand. Anfangs hörte er Schritte und keuchenden Atem hinter sich, doch die Geräusche blieben rasch zurück. Erst als er den Wald erreicht hatte, fiel ihm ein, dass die Männer möglicherweise Pistolen hatten. Doch da sie nicht geschossen hatten, spielte es keine Rolle.
Er sprang ins Dickicht und rannte weiter, ohne sich umzusehen. Er würde nicht stehen bleiben, bevor er am Rhein war, und auch dann würde er nicht stehen bleiben, sondern ins Wasser springen und zur Insel schwimmen. Dorthin würden sie ihm auf keinen Fall folgen.
Mit erhobenen Armen lief er durch den Wald. Zweige und Äste schlugen ihm gegen Unterarme, Schultern und Kopf, aber das kümmerte ihn nicht. Er hatte Schlimmeres erlebt.
Kurz darauf sah er vereinzelte Lichter vor sich – die Laternen am Uferweg. Er lachte in sich hinein. Dort vorn wartete schon der Rhein auf ihn.
Er hatte den Waldrand beinahe erreicht, als ihn von rechts ein Körper rammte. Er prallte gegen einen Baum, und irgendetwas in seinem Arm brach krachend. Mit einem Aufschrei stürzte er. Schmerzen rasten durch seinen linken Ellbogen, doch er rappelte sich hoch. Wichtig war nur, dass er den Rhein erreichte. Der Rhein würde ihn retten, wie er ihn so oft gerettet hatte.
Zwei Hände krallten sich in sein T-Shirt und schleuderten ihn zu Boden, und da wusste er, dass er verloren hatte.
Er blieb auf dem Bauch liegen. Im ersten Moment hatte er gedacht, dass ihn sein Vater abgepasst hatte. Doch der Mann, der ihn erwischt hatte, war nicht sein Vater, und es war auch nicht Willie. Es musste der Mann aus der Scheune sein.
»Spuck’s aus«, flüsterte der Mann.
Keuchend schnappte Eddie nach Luft. »Leck mich.«
Da trat ihn der Mann mit der Schuhspitze in die Seite, und Eddie begriff, dass er reden musste, wenn er nicht so enden wollte wie die Frau.
Er erzählte, dass er die Frau am Nachmittag in der Scheune gesehen hatte und dass sie am Abend fort gewesen war. Dass er sie nicht kannte und kein Wort mit ihr gesprochen hatte, weil sie wegen der Verletzungen nicht hatte sprechen können.
Mehr erzählte er nicht.
Während er sprach, fragte er sich, wo die Frau sein mochte. Ob jemand anders sie gefunden hatte. Er wünschte, es wäre so. Irgendwie, dachte er, gehörten sie auf eine komische Art zusammen, er und die Frau, und deswegen gönnte er sie keinem anderen
Noch immer lag er auf dem Bauch, und der Mann stand neben ihm.
»Hast du jemandem von ihr erzählt?«
»Nein.«
»Warum nicht?«
Eddie schwieg.
Der Mann trat ihn wieder in die Seite. »Hast sie eingesperrt, was? Hast du gedacht, du kannst sie später ficken?«
Eddie antwortete nicht.
Der Mann lachte auf. »Warum nicht gleich?«
»Das Essen war fertig. Und dann war Fußball im Fernsehen.«
»Und danach wolltest du wiederkommen und sie ficken.«
»Ja.«
Der Mann lachte wieder. »Warst du allein bei ihr?«
Eddie sah Dennis’ weißes, fettes Gesicht vor sich, und aus irgendeinem Grund hatte dieser Anblick etwas Tröstliches. Er dachte, dass er ihn vielleicht tatsächlich mochte, weil sie so etwas wie Brüder waren oder weil Dennis ununterbrochen rülpste und furzte. Egal weshalb, er mochte ihn, und Dennis war ja auch der einzige Mensch nach diesem Tag, der übriggeblieben war.
»Ja.«
Der Mann beugte sich über ihn und zog seinen Kopf hoch und schlug ihn auf die Schläfe und das Ohr, wieder und wieder, und Eddie dachte, dass er nun wirklich verloren hatte, aber solange er Dennis nicht verraten würde, hatte er auch ein bisschen gewonnen.
Also tat er es nicht.
Irgendwann musste er das Bewusstsein verloren haben. Er erwachte, weil an seinem Kopf etwas Kühles war.
Wasser.
Er wollte Luft holen, doch statt der Luft sog er Wasser in seine Lungen.
Das Wasser des Rheins, dachte er, und dieser Gedanke hatte auch etwas Tröstliches.
Dann kam die Verzweiflung, und er begann, sich gegen die Hände zu wehren, die ihn mit eiserner Kraft unter Wasser drückten.
Aber es war zu spät.
I
Eddie und Nadine
1
Ein schmaler Streifen Licht in der Dunkelheit, kaum zwanzig Meter entfernt auf der anderen Straßenseite. Inmitten des Lichts die Konturen eines
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