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Jäger

Jäger

Titel: Jäger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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Zwillinge waren anaerob geworden, lebten ohne
jeden Sauerstoff.
    Ich kann mich nicht mehr erinnern, welche Gedanken mir in diesem
Augenblick durch den Kopf gingen. Ich stelle mir vor, dass ich Zorn
empfand, Empörung, sogar Neid, doch der Schock stand vermutlich
ganz oben auf dieser Liste und überdeckte alles andere.
    Das Problem unserer uralten Abhängigkeit von Mitochondrien
war gelöst. Doch die Lösung schien in einer Art von
Sklaverei zu liegen, die zu Passivität und
Bewegungsunfähigkeit verurteilte. Oder sie war die schreckliche,
endlose Hölle der Gefangenen im obersten Stock der
Anthrax-Zentrale. Oder trug das verschrumpelte Antlitz der
verschrobenen Golochowa, die jahrelang unter Wahnsinn gelitten
hatte.
    Lissa hatte mich gewarnt, dass das, wonach Rob und ich suchten,
eine hässliche Sache sei. Wie Recht sie damit hatte.
    Ich richtete mich auf und sah mich nach einer Leiter am anderen
Ende der Laufplanke um. Es gab keine. Eine Wand versperrte den Weg.
Ich ging zur Mitte des Tanks zurück, drehte mich um, wobei ich
beinahe ins Straucheln geriet, weil meine Schuhe an dem Gitterrost
hängen blieben, und kniete mich nieder, um von einem steileren
Winkel aus in das lavendelfarbene Becken zu spähen. Ich wollte
sehen, ob sich auf der anderen Seite des Beckens mit den
zusammengewachsenen Zwillingen eine Galerie oder Aussichtsplattform
befand. Zwischen dem Wasser und den dicken Glasscheiben konnte ich
einen Streifen hellerer Farben unterscheiden, bei dem es sich um
einen Fußboden handeln mochte. Dann machte ich eine
gespenstische Gestalt aus, die wie eine flach an die Scheibe geklebte
bunte Papierfigur aussah, durch die Wellen und die optische
Verkürzung und Verzerrung kaum zu erkennen.
    Die Gestalt stand mit verschränkten Armen da.
    Ich ließ mich auf Hände und Knie sinken und legte den
Kopf schief.
    Ein Gesicht nahm zwischen zwei großen Wellen im Haupttank
Konturen an. Das linke Auge war etwas schräger gestellt als das
rechte. Der Mund stand vor Staunen und Faszination offen, als das
Wesen die Zwillinge betrachtete. Ich hatte dieses Gesicht schon so
oft im Spiegel gesehen, dass ich glaubte, ein auf rätselhafte
Weise entstandenes Spiegelbild von mir selbst zu erblicken. Gleich
darauf verschwand die Gestalt aus meinem Blickfeld, vielleicht
löste sich meine Vision auch nur in den Wellen auf.
    Das Wesen war Rob, tatsächlich Rob.
    Ich konnte mein Glück nicht fassen. Er war noch am Leben. Ich
würde mit ihm reden und mich bei ihm entschuldigen können.
Ich fühlte mich von einem Gefühl der Euphorie und
unendlichen Erleichterung fast überwältigt.
    Und dann fiel mir ein, dass Ben auf Janie wartete.
    Ich richtete mich auf und wischte mir, beschämt, so leicht
auf diesen Gefühlsschwindel hereingefallen zu sein, die Augen
trocken.
    »Wer ist da oben?«, rief hinter mir eine
Frauenstimme.
    Ich drehte mich um und hielt mich mit beiden Händen am
Geländer fest, darauf gefasst, gleich den Einschlag einer
weiteren Kugel zu spüren, der Kugel, die sich durch meine Rippen
bohren und mich töten würde.
    Eine Frau mit dunklen Haaren stieg die Leiter zum Laufgitter
hinauf und blieb im blauen Zwielicht stehen. Ich erkannte Betty Shun,
die erneut ein sehr kurzes, eng sitzendes schwarzes Strickkleid und
Joggingschuhe trug. In einer Hand schwang sie eine Feueraxt. Einen
Augenblick lang schien es so, als würde sie mich erkennen. Sie
entspannte sich und lächelte, dann nahm sie meine Kleidung und
den Streifschuss an meiner Wange genauer in Augenschein. Ihre Muskeln
spannten sich wieder.
    »Sie?«, fragte sie. »Wie sind Sie so weit
gekommen?«
    »Jemand hat mir einen Schlüssel gegeben«, erwiderte
ich lächelnd, aber aus meinen Achselhöhlen troff
Schweiß. »Wie geht es Owen?« Ich sah, dass die Klinge
der Axt jetzt langsamer hin und her schwang.
    »Ich hoffe, er schmort in der Hölle«, sagte Betty.
»Kommen Sie mit. Sie sollten nicht hier oben sein.«

 
Kapitel 37
     
    Die Axt locker im Griff, wartete sie mit zusammengepressten Lippen
am Fuß der steilen Leiter auf mich.
    »Mit mir ist alles in Ordnung«, sagte ich. »Mich
hat der Wahnsinn nicht gepackt.«
    Betty Shun nickte, schien mir jedoch nicht zu glauben. Sie
bedeutete mir, um den Tank und den Wald von Zuleitungsrohren herum,
zur Wand am anderen Ende des Raums zu gehen. Sie lag der Luke
gegenüber, durch die ich gekommen war.
    »Ich möchte Dr. Golochow sprechen«, erklärte
ich. »Ich bin durch die Hölle gegangen. Ein Gespräch
ist das Mindeste, was ich

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