Jäger
die beiden Zeugen wurden, wie ich still vor mich hin
trauerte oder – weit weniger wahrscheinlich – erleichtert
aufatmete.
Ich wischte die Scheiben der großen stählernen
Transportbehälter sauber und spähte mit einer kleinen
Taschenlampe hinein. Was wir aus den Tiefen des Ozeans ans Licht der
Erdoberfläche gezerrt hatten, waren Ansammlungen einer dunklen
Masse, bei der es sich ebenso gut um Sedimentwolken handeln konnte.
Oder um abgestorbene Xenos. Ich ließ mich auf die Knie sinken
und kniff die Augen zusammen. Einige Formen waren mehr als nur
Fragmente.
Shun blieb im Labor, während Bloom nach draußen ging,
um einen Anruf entgegenzunehmen.
Mit dem Rechner des Labors überprüfte ich die
Umgebungswerte und vergewisserte mich, dass die notwendigen
Bedingungen herrschten: Wassertemperatur bei 3,5 Grad Celsius, hoher
Sauerstoffpartialdruck, 36 Prozent Salzgehalt, Metallsulfide in
geringer bis mittlerer Konzentration.
»Der Druck steht bei 250 Atmosphären«, sagte
Valerie.
»Wenn wir den Druck reduzieren, lösen sich die Xenos zu
einer glitschigen Masse auf«, erklärte ich Betty Shun.
»Ihre Zellmembranen – zum größten Teil Lipide
– schmelzen wie Butter in der Sonne. In großen Tiefen, wo
es kalt ist und großer Druck herrscht, sind die Membranen
gallertartig.«
Noch ehe ich an Bord der Sea Messenger gegangen war, hatte
ich passende Bakterien kultiviert, die ich im Kühlschrank in
einem besonderen Behälter aufbewahrte. Jetzt konnte ich meine
Ernte in eine Plastikflasche umfüllen und direkt in die
Pumpenkammer einspritzen. Ich sah zu, wie sie sich in blassen
Streifen über den Hauptkühltank des Labors verteilte.
»Sehr eindrucksvoll«, bemerkte Betty Shun und ließ
ihre Hand vorsichtig über das kalte Acryl des großen Tanks
gleiten. »Mir fällt auf, dass Sie die Bakterien einfach so
in den Tank gespritzt haben. Warum?«
»Bakterien passen sich sehr schnell an ein neues Milieu an.
Ihre Desaturase-Enzyme hören unter Druck zu arbeiten auf,
wodurch die Konzentration der ungesättigten Fettsäuren in
ihren Zellwänden drastisch erhöht wird. Das wiederum
verhindert, dass die Zellwände zu unflexibel, zu starr werden.
Unsere größeren Exemplare sind nicht so
anpassungsfähig.«
Ich bat Dan, mir dabei zu helfen, den ersten
Transportbehälter an den großen Labortank
anzuschließen. Wir trugen ihn zum Arbeitstisch, verbanden ihn
mit dem Übertragungsrohr und vergewisserten uns, dass die
Verschlussdichtungen fest saßen. Ich überprüfte den
Druck – der Transportbehälter hatte etwa drei Bar verloren
– und verminderte den Druck im Labortank entsprechend. Dann
öffnete ich die inneren Schleusen des Abflussschachts, so dass
sich das Wasser mischen konnte. Kleine, von Schmutz und Sand bedeckte
Klumpen einer gallertartigen Masse schwammen vorüber.
Ähnlich dem Mann, der eine Schnapsflasche fallen lässt
und den Himmel anfleht, es möge nicht den uralten Cognac,
sondern den stinknormalen Korn erwischt haben, hoffte ich, dass es
sich bei den vorüberschwimmenden Fragmenten nur um
gewöhnliche Xenos und nicht um unsere kostbaren Vendobionten
handelte.
»Es ist nur noch Suppe«, seufzte Dan.
Ich warf Shun einen anklagenden Blick zu. »Ich hätte sie
selber herbringen sollen.« Sie reagierte nicht. Zweifellos hatte
sie es schon mit weitaus cholerischeren Temperamenten als dem
meinigen zu tun gehabt.
Ich kippte die Plastikklappe im Innern des Transportbehälters
und beförderte behutsam noch mehr des trüben Inhalts durch
die kleine Acrylöffnung. Dan schaltete die Hauptkamera des
Videogeräts ein und drehte den Monitor so, dass ich alles
verfolgen konnte.
Ein durchscheinender, blattähnlicher Gallertfächer wogte
im Verbindungsrohr der beiden Tanks, der nach wie vor gelblich
schimmerte.
»Lebt es noch?«, fragte Valerie.
»Wahrscheinlich nicht. Aber wenigstens sind die Zellen nicht
zerstört«, sagte ich. »Versuchen wir zu retten, was zu
retten ist.«
Bloom kam wieder herein und verzog sich in eine Ecke, wo er nicht
im Weg war.
•
Acht Stunden verstrichen. Ich kann mich immer und überall in
Laborarbeit verlieren. Ich vergesse die Zeit und verwandle mich in
ein heiteres, gelassenes Wesen, in einen körperlosen Geist der
Wissenschaft. Einen Labor-Zombie hat mich Julia einmal
genannt. Ich brauche nicht einmal Kaffee – Forschung hat etwas
an sich, das mich bis obenhin mit meinem eigenen natürlichen
Koffein voll pumpt.
Shun war viel geduldiger, als ich erwartet hatte. Nicht, dass ich
ihr
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