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Jäger

Jäger

Titel: Jäger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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was er
vorhatte.
    Lissa beschleunigte vorsichtig, als wolle sie ein
argwöhnisches Raubtier abschütteln.
    Die Staubwolke driftete auf die Hügel zu und gab den Blick
wieder frei. Der Streifenwagen hatte umgedreht und fuhr nach
Thuringia zurück.
    »Er ist weg«, sagte ich.
    »Gott sei Dank«, seufzte Lissa.
    In diesem Augenblick überkam mich diese ungute, sonderbare
Ahnung, die mich unbewusst bereits seit Stunden beschäftigte.
Sie kam wie eine schlagartige Offenbarung und jagte mir einen kalten
Schauer über den Rücken, der bis in die Knochen drang.
Obstkuchen, Trockenobst und Nüsse wurden über die gesamte
USA verschickt – direkt von diesem kleinen kalifornischen Nest
aus. THURINGIA war nichts anderes als eine geschäftliche Fassade
für… ja, für wen oder was? Für Silk?
    Deren Helfershelfer bewusstseinskontrollierende Bakterien auf jede
kleine Pflaume, über jeden Obstkuchen und jede Geburtstagstorte
sprühten und sie bei abgepackten Tüten mit Mandeln und
Walnüssen in die Schalen injizierten. Und die ganze Zeit
über hatten sie Proben entnommen – Proben aus den
heißen Quellen, die stinkende, weiße Wolken erzeugten.
Zusammengesetzt aus den Kleinen Müttern der Welt.
    Rob mochte auf etwas gestoßen sein, das fast unglaublich
war. Das fast konnte ich streichen. Aber ich musste mehr in
Erfahrung bringen, um wirklich zu glauben, was zu glauben sich mein
Gehirn weigerte. »Hast du genug?«, fragte ich.
    »Du etwa?«
    »San José«, knurrte ich und deutete auf die
ausgefurchte Straße.
    »Bist du nicht müde?«
    »Wir können irgendwo anhalten und einen Kaffee
trinken«, schlug ich vor.
    Lissa rieb sich den Nacken.
    »Wir tun’s für Rob«, sagte ich und erkannte im
selben Augenblick, dass ich diesen Knopf einmal zu oft gedrückt
hatte.
    Ihr Gesicht erstarrte zu Marmor.
    »Woher hast du die Pistole?«, fragte ich.
    »Das geht dich nichts an«, entgegnete sie. »Und
komm mir bitte nicht noch einmal damit, dass wir irgendwas für
Rob tun. Du tust es, weil du neugierig bist, das ist alles. Er war
ebenfalls neugierig und hat mich verlassen, falls du dich erinnerst.
Er war derjenige, der sich wie ein Arschloch verhalten hat und in der
Weltgeschichte herumgegeistert ist. Er wollte nicht auf mich
hören, genauso wenig wie du.«
    Ich ließ die Glock in ihre Handtasche zurückgleiten. Es
machte mich nervös, die Pistole auch nur anzusehen.
»Entschuldige«, sagte ich.
    Sie schob das Kinn vor und rieb sich die Nase. »Vergiss
es.«
    »Vielleicht sollten wir anhalten und ’nen Kaffee
trinken.«
    »Nein«, sagte sie. »Ich brauch jetzt keinen. Fahren
wir nach San José und bringen die Sache hinter uns. Wo ist
dieser verdammte Schlüsselanhänger?«

 
Kapitel 26
     
San José
     
    Lissa ließ ihren Blick den glasverkleideten Treppenschacht
des Creighton Building emporwandern, das sich als Büroklotz mit
einer nichts sagenden Fassade aus den frühen Siebzigerjahren
entpuppte. Umgeben von Verkaufsflächen für Gebrauchtwagen,
lag das Gebäude in einer Parallelstraße zur 280.
Straße. Fahnen flatterten munter vor einem Choosy Chans ein paar Dutzend Meter weiter südlich, aber obwohl es halb
sieben war, also Zeit zum Abendessen, und allmählich die
Dunkelheit hereinbrach, waren weit und breit keine Gäste zu
sehen. Ein großer hagerer Verkäufer in einem eng sitzenden
Anzug mit Fischgrätenmuster lehnte am Kotflügel eines Ford
Explorer und stocherte in seinen Zähnen herum. Er ignorierte
uns.
    Ich hatte den kleinen Metallring mit dem Papierschild in der Hand,
auf das Rob in säuberlicher Druckschrift die Adresse geschrieben
hatte. An dem Ring hingen drei Schlüssel, zwei aus dem
üblichen Messing, die zu jeder beliebigen Tür passen
konnten, und einer aus Stahl, neu, eckig und glänzend.
    Wir stießen die Glastür auf und traten in die Lobby.
Als Neonlicht aufflammte, zuckten wir zusammen, aber wir hatten nur
die automatisch geschaltete Eingangsbeleuchtung aktiviert. Das
provisorische Empfangspult des Sicherheitsdienstes oder des Portiers
war verlassen und verstaubt. Wir studierten die Liste der Mieter in
einem Glaskasten an der Wand: Reihen von weißen Plastiklettern
auf geripptem, schwarzem Samt. Keiner der Namen wies auf Rob hin.
    »Vielleicht ist er ausgezogen«, sagte ich.
    »Dann hätte er die Schlüssel weggeworfen«,
entgegnete Lissa. »Er hasste alte Schlüssel.«
    Ich warf alte Schlüssel ebenfalls weg. Das Erdgeschoss war
von einer Investment-Firma belegt, der zweite Stock von einer
Anwaltskanzlei. Blieb

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