Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jäger

Jäger

Titel: Jäger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
Vom Netzwerk:
tiefer verwurzelte
Kulturen gesucht. Irgendwo anders wäre diese Anhäufung von
Geschmacklosigkeiten nur lächerlich gewesen. Hier brachte sie
mich dazu, die Zähne zusammenzubeißen.
    »Genug gesehen?«, fragte Lissa.
    »Noch vier oder fünf Straßen«, erwiderte
ich.
    Während der nächsten fünfzehn Minuten nahmen wir
all die traurigen Träume des kleinen, erfolglosen Touristenorts
in Augenschein, die aufgrund der finanziellen Pleite geplatzt waren
und Erinnerungen hinterlassen hatten, die ebenso verblichen waren wie
die Schilder.
    In der Mitte des kleinen Dorfplatzes stand ein Musikpavillon. Es
fiel nicht schwer, sich vorzustellen, wie hier an langen warmen
Sommerabenden die Klänge von Polka und
Umba-Täterä-Musik weit durchs Tal gedrungen waren.
    Es herrschte völlige Stille. Nicht einmal eine leise Brise
strich durch die alten Gebäude. Wir gingen an einem Lagerhaus
mit weit gähnenden Toren vorbei, dessen Betonboden mit
zerbrochenen Laderosten und von Mehltau fleckigem Sackleinen
übersät waren. In einer schmalen Gasse zwischen zwei
pittoresken und völlig verfallenen Chalets stand eine verlassene
Ford-Limousine, von der nur noch das Chassis übrig war. Sie war
schräg zur Seite gekippt, nachdem einer der Böcke, auf den
sie sich offenbar seit Jahrzehnten stützte, unter ihr
nachgegeben hatte.
    Am Ende einer Straße entdeckten wir, ein Stück abseits
von den anderen Häusern, ein Büro des Thuringia Kurier, ein ziemlich hochgestochener Name für ein, wie ich
vermutete, bestenfalls zweiseitiges Blättchen, das sich
wahrscheinlich vorwiegend mit Dorftratsch befasst hatte. Da die
Tür nicht vernagelt war, dachte ich, es könne vielleicht
der Mühe wert sein, einen Blick hineinzuwerfen.
    »Glaubst du, der Sheriff hat was dagegen?«, fragte ich
und machte Anstalten, mich mit der Schulter gegen die Tür zu
werfen.
    »Das ist dämlich«, sagte Lissa. »Du brichst
dir noch irgendwas.«
    Ich spannte die Muskeln. »Ein Mann aus Stahl«, knurrte
ich.
    Das Holz war so alt und morsch, dass die Tür schon beim
ersten Stoß nachgab. Überall wirbelte Staub auf.
Triumphierend ließ ich die Faust sinken und trat in die
Dunkelheit. Während sich meine Augen allmählich daran
gewöhnten, starrte ich verdutzt auf Stapel von Plakaten,
Schachteln voller Werbezettel und einen kleinen grauen Schreibtisch.
Eines der Plakate und einen Werbezettel nahm ich mit hinaus ins
Licht.
    »Thuringia-Produkte, wir liefern überall hin«, las ich laut vor. »Zu Weihnachten, zum Erntedankfest und
zu allen anderen feierlichen Anlässen! Weltbekannte Obstkuchen,
Walnuss- und Mandelkörbe, getrocknete Früchte,
kandifizierte Orangen, Ananas…«
    »Kandifiziert?«, grinste Lissa.
    »So steht’s hier. Datteln und Oliven, erstklassige
entkernte Pflaumen von den goldenen Hügeln Kaliforniens.
Zufriedenheit garantiert.«
    »Hält die Verdauung in Schwung«, bemerkte
Lissa.
    »Copyright 1950.«
    Ich hielt das Plakat in die Höhe:
    WILLKOMMEN IM PARADIES THURINGIA!
SONNEN- UND KURBAD – THERMALQUELLEN
LERNEN SIE DAS GESUNDE LEBEN IN AMERIKAS NEUER HAUPTSTADT DER
VITALITÄT KENNEN!
    Damen in artigen Esther-Williams-Badeanzügen posierten auf
Steinmauern und tauchten ihre Füße in ein dampfendes
Becken. Alle lächelten strahlend und zeigten die Vitalität,
weißen Zähne und gut gepolsterten Oberschenkel der
Fünfzigerjahre.
    »Suchen wir das Badehaus«, schlug ich vor. »Sieht
einladend aus.«
    »Lieber nicht. Wir können ja später allen
erzählen, wir wären hier gewesen«, witzelte Lissa.
Doch die leichthin gesagten Worte konnten nicht darüber
hinwegtäuschen, wie blass sie war. Sie mochte den Ort
überhaupt nicht. Auf mich wirkte er zwar traurig und trostlos,
aber – bisher zumindest – keineswegs beunruhigend.
    Das Badehaus war ein aus Natur- und Backsteinen errichtetes
Blockhaus am östlichen Rand des Orts. Es war mit einem
Maschendrahtzaun gesichert, der im Unterschied zum äußeren
Zaun ein – allerdings zugesperrtes – Tor hatte. Auch hier
hing ein Schild, das in noch größeren Lettern besagte:
    NATÜRLICH VERURSACHTE
UMWELTVERSCHMUTZUNG.
    Darunter standen in kleineren Buchstaben weitere Hinweise:
    ACHTUNG
BADEN UND TRINKEN AUS DER QUELLE VERBOTEN
KALIFORNISCHES GESUNDHEITSMINISTERIUM
    Darunter warnten fette Blockbuchstaben:
    BAKTERIELLE VERSEUCHUNG
    »Macht dich das nicht neugierig?«, fragte ich.
    »Nein«, wehrte Lissa ab.
    Ich nahm den Stein und schmetterte ihn gegen das Schloss am Tor,
das nach drei Schlägen zersprang. Quietschend

Weitere Kostenlose Bücher