Jaegerin der Daemmerung
mir nicht möglich gewesen. Wir haben alle zusammengearbeitet.«
»Die anderen warten bereits auf euch«, sagte Francesca. »Ich möchte dich und Ivory gerne noch einmal überprüfen. Hoffentlich bleibt ihr nach der Zeremonie noch etwas und erlaubt uns, euch zu heilen.«
Razvan und Ivory tauschten einen langen Blick aus. Da waren so viele Schmerzen gewesen. Das karpatianische Volk hatte sich versammelt, um ihre Heilung zu beschleunigen, doch keiner von beiden fühlte sich in so großer Nähe zu anderen wohl. Sie sehnten sich nach ihrer eigenen mit Heilerde gefüllten Schlafstätte. Oder sie würden in die besondere Höhle gehen, in der Mutter Natur sie mit dem gehaltvollsten Erdreich umgeben würde. Noch waren die zahlreichen Narben nicht gänzlich verschwunden, aber genau wie bei Vikirnoff und Natalya verblassten sie allmählich.
»Vielen Dank, Francesca«, sagte Razvan und verneigte sich leicht. »Wir wissen dein Angebot zu schätzen. Du hast uns vermutlich das Leben gerettet.«
»Das wage ich zu bezweifeln.« Francesca führte sie durch die Höhle in das Zeremonienzimmer, in dem die anderen bereits warteten.
Kaum hatten sie einen Fuß über die Schwelle gesetzt, senkte sich ein Schweigen über die Anwesenden. Ivory rückte näher an Razvan heran. Der Geruch nach Salbei und Lavendel stieg ihr in die Nase. Auf jedem noch so kleinen Felsvorsprung und in jeder noch so schmalen Nische standen Kerzen, die flackernde Schatten an die Wände warfen, während die Kristalle über ihren Köpfen wie ein Meer aus Sternen funkelten. Ivory war entsetzt, als sie die vielen Karpatianer sah, die sie erwartungsvoll anstarrten. Nervös strich sie Razvan über den Arm.
Mikhail glitt von der Mitte des Raums auf sie zu und machte unmittelbar vor ihnen Halt. Wie es der Brauch zwischen zwei karpatianischen Kriegern verlangte, nahm er Razvans Arm. »Pesäsz jeläbam ainaak - Mögest du lange im Licht stehen. Wir danken dir von ganzem Herzen für den Dienst, den du unserem Volk erwiesen hast.«
Razvan konnte sich nicht rühren, nichts erwidern. Selbst als Mikhail sich Ivory zuwandte, starrte er immer noch über die Schulter des Prinzen.
»Sívad olen wäkeva, hän ku piwta - Möge dein Herz stets stark bleiben, Jägerin«, begrüßte Mikhail sie mit derselben Geste und beinahe denselben Worten wie bei Razvan. Er trat zurück und verbeugte sich als Ausdruck großen Respekts tief vor ihnen.
Zu Ivorys Entsetzen verneigten sich alle im Raum. Ihre Kehle war wie zugeschnürt, so überwältigend waren die Gefühle, die in ihr aufstiegen. Ihr Blick glitt zu Razvan, der sich noch immer nicht gerührt hatte. Selbst sein Gesichtsausdruck hatte sich nicht verändert, so als wäre er in Stein gemeißelt. Er hatte noch nicht einmal die unglaubliche Geste der Anerkennung registriert. Er starrte quer durch den Raum, und sie drehte sich um und folgte seinem Blick.
Es bestand kein Zweifel daran, wer die Frau war, die neben Nicolas De La Cruz stand. Lara. Für Nicolas, der Ivory so viel bedeutete, hatte sie in diesem Moment keinen Blick übrig. Nicht, wenn das Herz ihres geliebten Razvans gerade in Millionen Stücke zersprang, er innerlich zu Staub zerfiel. Äußerlich mochte er zurückhaltend und distanziert wirken; innerlich stürzte alles in ihm zusammen. Seine stoische Ruhe war wie weggefegt. Er konnte nicht atmen, und sein Herz schlug so schnell, dass sie Angst hatte, es würde explodieren.
Jeder einzelne Moment, jedes noch so entsetzliche Detail aus der Jugend seiner Tochter stieg in ihm auf, zusammen mit dem Geruch von ihrem Blut und dem Gefühl, wie er seine Zähne in ihrem Fleisch vergraben und daran gezerrt hatte, unfähig, damit aufzuhören. Er hatte sie nur warnen können, hatte versucht, sie dazu zu bringen, die Flucht zu ergreifen. Und das, obwohl sie keinen Ort hatte, an den sie sich hätte flüchten können. Und er hatte ihr nicht helfen können. Die bodenlose Verzweiflung von damals, zusammen mit den unerträglichen Schuldgefühlen, zwang ihn jetzt in die Knie. Blutige Tränen benetzten seine Wangen. Seine Hände zitterten, als er versuchte, sich wieder aufzurappeln.
Als Razvan so neben ihr kniete, spürte Ivory zum ersten Mal in ihrem Leben Panik. Dafür war er noch nicht bereit. Sie hätte ihm niemals erlauben dürfen, hierherzukommen. Ungeachtet der Tatsache, dass er ihren Trost nicht wollte, weil er meinte, es nicht wert zu sein, sank sie neben ihm auf die Knie und legte einen Arm um ihn. Er war unfähig gewesen, sein Kind
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