Jaegerin der Daemmerung
und öffne ihm nicht versehentlich deinen Geist.
Ivory stimmte ein Lied an und brachte die Töne dabei in Einklang mit dem natürlichen Rhythmus seines Körpers. Gregori und Ivory passten ihren Herzschlag und ihre Atemfrequenz der von Razvan an, sodass die Melodie durch alle drei hindurchfloss und dabei in jedes Organ und in jede Zelle eindrang. Das Blut sang in seinen Venen wie Ebbe und Flut.
Ich rufe dich an, wallendes Blut,
bäume dich auf, werde zur suchenden Flut.
Finde die Stelle, die es zu reinigen gilt,
damit seine Qual endlich ein Ende hat.
Wie tosende Wellen rollte die Weise durch Razvans Venen. Wie geschmolzene Lava verteilte sich die Hitze - eine dickflüssige, heiße und reinigende Masse. Jede Zelle nahm das pulsierende Inferno in sich auf, die Muskeln und Organe konnten es gar nicht abwarten, durchdrungen zu werden. Der erzeugte Dampf wallte auf und wurde schneller, als sich das Tempo des Gesangs änderte. Die Töne, die allesamt demselben Rhythmus folgten, sorgten dafür, dass nur der dunkle Splitter, der nicht in den Körper gehörte, nicht im Takt war und vor der reinigenden Energie zurückwich.
Sofort als das teuflische Fragment in Bewegung geriet, murmelte Gregori einen Gegenzauber, um Razvans Körper von Xavier zu befreien. Er fing den winzigen Splitter ein, sodass er sich nicht länger verstecken konnte, und baute ihm mit seinen Worten ein Gefängnis.
Als Ivory ihren Gesang wieder aufnahm, pulsierten die Töne stärker denn je durch Razvans Verstand. Irgendwann fiel Gregoris Stimme ein, zunächst in perfekter Harmonie, dann fordernder und befehlender.
Wir suchen das Dunkle, das all die Jahre lag im Verborgenen.
Wir befehlen dir, dich aus dem Schatten, aus der tiefen Dunkelheit zu lösen.
Wir befehlen dir, Xavier, in das strahlende Licht zu treten.
Wir entfernen alles von dir, Xavier, aus Razvans Bewusstsein.
Wie aus weiter Ferne vernahm Razvan Ivorys und Gregoris Gesang, spürte, wie sich die Musik mit seinem Körper in Einklang brachte, wie jedes einzelne Wort seine Kraft entfaltete und durch ihn hindurchströmte. Er wusste um die Macht des gesprochenen Wortes, hörte, wie sie den dunklen Magier anriefen, den teuflischen Erzfeind aufforderten, von ihm abzulassen und niemals wieder zurückzukehren. Er vernahm die alte karpatianische Sprache, das Schlagen seines Herzens, seinen Puls und wusste: Er war nicht länger allein.
Gregori und Ivory standen ihm zur Seite, schritten voller Zuversicht und Entschiedenheit neben ihm auf das parasitäre Fragment zu. Er konnte den Moment spüren, als sich der zweite Splitter, um der reinigenden Wirkung der Worte zu entkommen, zur Kugel umformte. Wie schon beim ersten Splitter war es wieder Gregori, der den Fremdkörper in das eigens dafür geschaffene Gefängnis sperrte.
Erneut veränderte sich Ivorys Gesang. Das Timbre ihrer Stimme wurde weicher, säuselnder, als sie Erinnerungen aus ihrer verlorenen Kindheit heraufbeschwor, sich die grenzenlose Liebe, die sie ihrer Familie entgegengebracht hatte, in Erinnerung rief. All diese Liebe ließ sie in ihren Gesang einfließen. Ihre Stimme war so voller Kraft, dass jeder, der sie hörte, zu Tränen gerührt war.
Du reines Herz in geschundenem Körper,
ich finde dich schön, auch wenn du müde und alleine da stehst.
Ich gebe dir mein Herz, werde deine Tränen vergießen.
Nimm meine Hand, ich werde all deine Ängste festhalten.
Ich gebe dir mein Wort, auf mich kannst du zählen.
Aus freien Stücken gebe ich dir meine Liebe zum Schutz vor allem Unheil.
Du hast einen langen Kampf ausgefochten, viele Sorgen ausgestanden.
Die Zeit der Qual ist vorbei, ich bin deine Zukunft.
Halte dich fest an meinen Worten, höre meinen Gesang,
lass ihn in deine Seele sickern, auf dass du Frieden findest.
Ivory sang das Lied zu Ehren eines starken Kriegers mit reinem Herzen, der lange in der Welt des Wahnsinns gefangen gehalten worden war, der aber stets von seinem Ehrgefühl, der Liebe zu seiner Schwester und seinem Volk getrieben wurde. In jeder Note, die sie sang, lag all ihre Liebe für einen, der nicht aufgegeben hatte, der verzweifelt versucht hatte, nicht den Verstand zu verlieren, obwohl Xavier seinen Körper zwang zu töten, zu schänden, von seinen eigenen Kindern zu trinken und auf seine Tante einzustechen.
Tränenerstickt floss ihre Liebe von ihrem Herzen in das seine, bis es außer purer Liebe kein anderes Gefühl mehr gab. Unfähig, dieses überflutende Gefühl, das Xavier völlig fremd war,
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