Jägerin der Nacht 01 - Nightwalker
Nachtwandler im Forsyth Park. Die Grünanlage lag im alten Teil der Stadt und bestach durch einen Springbrunnen mit einer hohen Wasserfontäne, die von gelben Scheinwerfern angestrahlt wurde. Der Park galt unter den diversen Rassen als eine Art entmilitarisierte Zone. Innerhalb seiner Grenzen wurde weder gejagt, gekämpft noch gezaubert. Wer diesen Waffenstillstand verletzte, verlor sein Leben. Die meisten meiner Leute baten an diesem Ort um ein Treffen mit mir. Natürlich konnte ich eine solche Bitte auch einfach ignorieren, doch bedauerlicherweise war die Anspannung des jungen Nachtwandlers sehr deutlich zu spüren und verpestete förmlich die Luft. So etwas war dem Frieden grundsätzlich nicht zuträglich.
Ich strich mir eine Locke meiner roten Haare hinter das Ohr und hielt auf den Springbrunnen in der Parkmitte zu. Die Luft war vom Duft der üppigen Blütenpracht in den Rabatten erfüllt. Trotz der andauernden Trockenheit war der beliebte Park in einem sehr gepflegten Zustand, denn die Stadt legte Wert darauf, ihn in seiner vollkommenen Schönheit zu erhalten. Das Geplätscher des Wassers tanzte durch die Luft und übertönte beinahe das gleichmäßige Rauschen des Verkehrs auf der River Street.
Joseph saß auf der marmornen Einfassung des Springbrunnens. Seine langen Beine hatte er ausgestreckt und übereinandergeschlagen. Er trug eine elegante dunkle Hose und ein burgunderrotes Hemd, dessen obere zwei Knöpfe geöffnet waren. Mit seinen gerade mal zwanzig Jahren war er unter meinesgleichen noch ein Baby. Er hatte zu Rileys Schäfchen gehört, war jedoch mit meiner Zustimmung herübergeholt worden.
Rilev hatte begonnen, völlig sorglos und wie von Sinnen Nachtwandler zu erschaffen, und seit seinem Ableben trieb sich Joseph, der fest entschlossen war, seinen eigenen Weg zu gehen, nun am Rand meines Reviers herum. Und bisher war er so klug gewesen, mich zu meiden. Ich konnte den jungen Kerl nur schwer ertragen.
„Das hier ist nicht dein Viertel", sagte ich, als ich auf ihn zuging. Er stand lässig auf, aber seine Angst war ihm deutlich anzumerken. Ich spürte seine Gefühle so intensiv, als wären sie meine. Vampire lernten im Lauf ihres Lebens, ihr Bewusstsein vor anderen abzuschotten, aber Joseph hatte damit noch Probleme.
Außerdem hatte ich ihn überrascht, was eigentlich nicht hätte passieren dürfen, doch er war ziemlich zerstreut und unaufmerksam. Mir fiel nur ein Grund ein, aus dem ein junger Vampir mit mir Kontakt aufnehmen würde: Danaus.
„Das Sinfoniekonzert ist in ein paar Minuten zu Ende. Ich dachte, ich mische mich heute Abend mal unter die Blaublütigen", sagte Joseph und steckte die Hände in die Hosentaschen. Er bemühte sich, eine lockere Haltung zur Schau zu tragen, stand dabei jedoch mit gespreizten Beinen da - bereit zum Kampf oder zur Flucht. „Ebbe in der Kasse?"
Sein rechtes Augenlid zuckte kaum merklich, aber ansonsten blieb sein gelangweilter Gesichtsausdruck unverändert. Jeder von uns fing als Mischung aus Blutsauger und Taschendieb an. Die meisten wurden nicht gern daran erinnert. Josephs reguläres Jagdgebiet waren die Straße, an der die meisten Nachtclubs lagen, und die Bars rund um die Universität. Vom ästhetischen Standpunkt aus betrachtet waren diese Bereiche die angenehmeren, und unterhaltsamer waren sie auch. Nur waren Studenten leider nicht gerade die beste Einkommensquelle.
„Wir sind nicht alle so gut dran wie du", sagte er.
„Alles hat seinen Preis." Während ich näher kam, registrierte ich aus den Augenwinkeln die Leute, die durch den Park schlenderten, aber niemand war uns nah genug, um unser Gespräch mithören zu können, und die Verkehrsgeräusche schützten uns zusätzlich vor Neugierigen. Als ich vor Joseph stehen blieb und in seine haselnussbraunen Augen sah, spürte ich sofort, wie er in mein Bewusstsein einzudringen versuchte. Er konnte nicht anders, weil er noch nicht gelernt hatte, seine Kräfte zu kontrollieren. Bei Menschen hatte er leichtes Spiel, doch wenn er auf andere Wesen traf, konnte es leicht geschehen, dass sie ihm in ihrer Verärgerung die Kehle herausrissen.
Ich fuhr mit der Hand über seine Brust und wollte gerade seinen Hals packen, als er vor mir zurückwich. Eine instinktive Reaktion und ein eindeutiges Zeichen für mangelndes Vertrauen. Ich musste nur fragend eine Augenbraue hochziehen, und schon kam er zu mir und legte den Kopf in den Nacken, um mir seinen Hals darzubieten. Ich ergriff ihn an der Kehle und zwang ihn, sich
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