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Jagablut

Jagablut

Titel: Jagablut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Eberl
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vorlegte und die Fenster überprüfte. Ich hielt es nicht für
unwahrscheinlich, dass er bald ein täglich wechselndes Losungswort ausgeben
würde. Selten hatte ich mich so beschützt gefühlt. »Es ist doch alles
abgeschlossen.«
    Ein listiger, fast schon hinterhältiger Gesichtsausdruck huschte über
Hansis Gesicht. Für einen Moment sah sie ihrem Bruder ähnlich. »Es gibt noch
einen Eingang ins Haus. Von der Bachseite her.« Sie beugte sich über den Tisch
und senkte die Stimme. »Das weiß nur keiner.«
    Die Holzscheite im Ofen fielen krachend zusammen, und fast hatte ich das
Gefühl, als prasselten die aufstiebenden Funken mein Rückgrat entlang. Ich
rückte ein Stück vom harten Relief der Kacheln ab. Ich konnte mir nicht
vorstellen, warum Hansi so geheimnisvoll tat. Die meisten Gasthöfe hatten mehrere
Eingänge.
    »Ach, ja?« Ich hatte nicht vor, ihr in ihre Welt der Geheimnisse und
Mythen zu folgen, und schaute auf die Uhr. »Was, schon halb drei?«
    Hansi griff in die Rocktasche, zog ihren Schlüsselbund hervor und legte
ihn auf den Tisch. Der Bund bestand aus vier Schlüsseln, die an einem Ring
befestigt waren. Ein großes, flaches Silberherz, auf dem zwei ineinander
verschlungene Initialen eingraviert waren, diente als Anhänger. Ich konnte
darauf ein großes J erkennen. Der zweite Buchstabe war durch den vielen
Gebrauch unleserlich geworden.
    »Eigentlich sollte ich jetzt zurück in die Praxis …«
    Drei Schlüssel sahen aus wie Zimmerschlüssel. Der vierte war aus
schwarzem Eisen, er war schlicht und hatte einen einfachen Bart. Man konnte
sehen, dass er sehr alt war. Zu welchem Schloss mochte der passen? Wider Willen
war ich neugierig geworden. Ich blieb sitzen.
    Hansi tippte den Eisenschlüssel an. »Der is’ noch aus der Zeit der
Protestantenverfolgung.« Sie fuhr mit dem Finger über das schwarze Metall. »Ist
schon dreihundert Jahre her, da hat der Erzbischof in Salzburg die Protestanten
aus ihrer Heimat vertrieben. Hier hat’s viele gegeben.« Sie schaute aus dem
Fenster, als könnte sie die Menschen irgendwo dort draußen sehen. »Die Höfe hat
er ihnen genommen. Und die Kinder. Die sind zu katholischen Familien gekommen.
Halb Alpbach hat damals gehen müssen.« Ihre Stimme wurde immer leiser. Auch
nach drei Jahrhunderten schien das Unrecht nicht vergessen. »Viele haben’s
nicht geschafft und sind auf der Flucht gestorben.« Sie senkte den Blick. »Der
Jagawirt war ein heimlicher Treffpunkt. Damals.«
    »Und seit damals … gibt es diesen geheimen Zugang?«
    »Ja, genau.«
    »Und ich nehme an, die Polizei ist darüber nicht informiert?«
    Hansis Mundwinkel zuckten. »Ach, woher denn?« Meine Naivität schien sie
zu erheitern. Das Misstrauen der Staatsgewalt gegenüber hatte die Jahrhunderte
offenbar ebenfalls überdauert. »Das wissen in jeder Generation immer nur die
Familienmitglieder, die den Gasthof führen.« Hansi schob mir den Schlüsselbund
hin. »Sie müssen durch den Abstellraum gehen und dann die Stufen hinauf.« Sie
nickte eifrig. »Vielleicht war die Tür ja nicht verschlossen, und der Mörder
ist von hinten ins Haus gekommen.«
    » Ich soll nachschauen, ob die Tür
verschlossen ist?« Sie konnte doch nicht im Ernst erwarten, dass ich auf den
Spuren eines Mörders durch Geheimtüren ging. »Das müssen Sie der Polizei
sagen.«
    Hansi legte den Kopf auf die Seite. Ein schüchternes Lächeln spielte um
ihren Mund. Auf einmal war sie wieder ganz die zarte alte Dame, die auf meine
Hilfe rechnete.
    »Schauen S’«, sagte sie. »Über so lange Zeit hat die Familie Steiner
das Geheimnis des Jagawirts gehütet. Niemand hat je was verraten. Wenn wir
jetzt die Polizei rufen, weiß es morgen der ganze Ort.« Sie beugte sich vor und
fixierte mich mit ihren hellen Augen. »Dazu haben wir kein Recht nach all der
Zeit. Und … vielleicht braucht’s die Tür ja eines Tages wieder.«
    Mein Hals fühlte sich trocken an. »Warum gehen Sie nicht selber?«
    »Ich trau mich nicht.« Sie faltete die Hände im Schoß. »In meinem Alter.«
    Im Grunde hatte Hansi recht. Unter den gegebenen Umständen war es sicher
sinnvoll, jeden Zugang zum Haus verschlossen zu halten. Seit Tagen musste sie
an den geheimen Zugang gedacht und mit sich gerungen haben, ehe sie entschieden
hatte, mich um Hilfe zu bitten. Sie vertraute mir eben. Im Grunde ging es ja
nur darum, dass eine vernünftige junge Frau wie ich einen Blick auf eine Tür
warf. Wenn nötig, würde ich sie eben abschließen und die alte Da-me damit

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