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Jagablut

Jagablut

Titel: Jagablut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Eberl
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von
einer Sorge befreien. Fast schämte ich mich meines Zögerns. »Und wenn ich das
Geheimnis nun verrate?«
    Ihr Lachen klang hell und fröhlich. Sie wusste, dass sie gewonnen hatte.
»Jetzt ist es doch ein Arztgeheimnis.« Und dann erklärte sie mir den Weg.
    Die Rückseite des Jagawirt und den Bach, der dort vorbeifloss, kannte ich
hauptsächlich als Ausblick von meinem Zimmerfenster. Jetzt sah ich, dass sich
hier zwei Türen befanden. Die eine war zur Hälfte verglast. Hinter den Scheiben
konnte ich die Küche erkennen. Die zweite bestand aus alten Holzplanken. Ein
breiter Grasstreifen, über den ein schmaler Pfad führte, verlief zwischen Bach
und Hauswand. Zwischen den Türen war in Augenhöhe ein Eisenring in das steinige
Mauerwerk eingelassen. Vor drei Wochen, als ich die Fensterläden öffnete, hatte
ich an diesem Ring ein frisch geschossenes Reh mit offener Bauchhöhle hängen
sehen. Unbemerkt hatte ich Vinzenz Steiner dabei beobachtet, wie er über die
moosbedeckten Felsen zum Bach hinuntergestiegen war. Dort hatte er seine Hände
und das Jagdmesser so sorgfältig in dem eiskalten Wasser gereinigt, als
vollzöge er eine heilige Handlung.
    Ich schaute zum Bach hinunter, und vor meinem inneren Auge sah ich
Steiner wie einen Troll im grünen Gewand an den Wasserstrudeln kauern. Nicht
den Gastwirt, der mit professioneller Freundlichkeit Touristen begrüßte,
sondern Vinzenz Steiner in einer anderen Welt, ganz eins mit sich und seinem
Tun. Jetzt hing nichts an dem Eisenring neben der Küchentür.
    Feuchte Kälte schlängelte sich vom Bach herauf und kroch unter meinen
Pullover. Ich spürte, wie eine Gänsehaut meine Arme überzog. Rasch folgte ich
dem Pfad, der direkt zu der Tür aus den alten Holzbalken führte. Sie war
unverschlossen. Ich trat in einen klammen Raum, in dem es muffig roch. Die
Fugen und Risse in der alten Holztür ließen Kälte und Nässe ungehindert
eindringen.
    Nach kurzer Suche fand ich einen altmodischen Drehschalter neben dem
Türrahmen und machte Licht. Im schwachen Schein einer nackten Glühbirne
erkannte ich einen Abstellraum. Auf den grauen Bohlen standen an den Wänden
aufgereiht ausgetretene Bergschuhe, mit getrocknetem Schlamm bedeckte
Gummistiefel und eiserne Krampen, die man zum Schutz gegen Eisglätte unter die
Sohlen schnallt. In zwei Spankörben lagerten Feuerholz und alte Zeitungen –
wahrscheinlich Brennmaterial für den Kachelofen, den ich in Steiners Wohnung
gesehen hatte. Verschiedene Gerätschaften lehnten in einer Ecke, von denen ich
im Halbdunkel nur eine Schneeschaufel erkannte.
    An der gegenüberliegenden Wand führten vier Holzstufen zu einem
Garderobenbrett hinauf, an dem säuberlich aufgerollt ein blau-gelbes
Bergsteigerseil, mehrere lange Lederriemen und verblichene Drillichrucksäcke
hingen. Alles war so, wie Hansi gesagt hatte. Ich spürte ein Kribbeln im Magen.
    Langsam ging ich auf die Garderobe zu und stieg die Stufen hinauf. Die
alten Holzdielen knarrten unter meinen Schritten. Plötzlich stolperte ich.
Meine Schuhspitze hatte sich unter einem losen Brett verfangen. Wie ein Maul
klappte es auf und schnappte nach meinem Fuß. Ich strauchelte und ruderte mit
den Armen. Verzweifelt kämpfte ich um mein Gleichgewicht. Im letzten Moment
bekam ich einen Rucksack zu fassen und klammerte mich daran fest. Der raue
Stoff kratzte auf meiner Haut.
    Etwas bewegte sich unter meinen Händen. Ein kleines Wesen sprang aus
einer der aufgesetzten Taschen, landete direkt vor meinen Füßen und huschte
über die Stufen davon. Ich schaute der Maus nach, bis sie im Schatten der
Schneeschaufel verschwunden war.
    Ich nahm einen tiefen Atemzug von der muffigen Luft und versuchte, auch
mein inneres Gleichgewicht wieder zu erlangen. Dann befolgte ich Hansis nächste
Anweisung.
    Ich packte die rechte Seitenkante der Garderobe und zog vorsichtig daran.
Das ganze Brett schwang mir so schnell und lautlos entgegen, dass ich
überrascht zurückfuhr. Dann starrte ich auf die Tür, die dahinter zum Vorschein
kam.
    Sie war schlicht und aus hellem Holz, nicht anders als in den Stuben
alter Bauernhöfe. Mit einem einfachen Rahmen und vier Fächern, die in einem
Holzkreuz saßen. Auffallend waren nur die geschmiedeten Bänder in Form von
Dreizacken, die die Tür in den Angeln hielten. Und das eiserne Kastenschloss.
Selbst im spärlichen Licht der einsamen Glühbirne war zu erkennen, dass es im
Laufe der Zeit einige Kratzer und Dellen davongetragen hatte.
    Nachdenklich fuhr ich über die

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