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Jagablut

Jagablut

Titel: Jagablut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ines Eberl
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Dr. Canisius?«
    »Ja? Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?«
    »Sie sollten nicht im Jagawirt bleiben.« Er ließ meine Hand los. »Wenn
Sie wollen, finden wir ein anderes Quartier für Sie.«
    »Danke, aber das wird nicht nötig sein.«
    »Haben Sie denn keine Angst?«
    »Wovor denn? Dass sich wieder ein Einbrecher oder ein Mörder in den
Jagawirt verirrt?« Wenn es denn kein Hausbewohner gewesen war. »Oder ein
Hoteldieb. Davon geht nämlich die Polizei aus. Das müssten Sie doch auf der
Gemeinderatssitzung gehört haben.« Ich konnte nicht vermeiden, dass meine
Stimme ein wenig spitz klang.
    »Die Leute reden halt, aber … Suchen S’ sich doch wenigstens für
ein paar Tage ein anderes Zimmer.« Er beugte sich zu mir vor. »Bis der Täter
gefunden ist.«
    Ich schaute auf das Kreuz der Familie Munz. Die Spitzen des eisernen
Strahlenkranzes schimmerten hell. Das Grab der Mutter war noch kaum
eingesunken, und auf einmal hatte ich das Gefühl, als warte die Erde nur noch
auf das letzte Mitglied. Antonia und Simon Munz schauten mich an.
    »Danke für Ihre Sorge, aber ich bleibe im Jagawirt. Bei all der Polizei
im Haus gibt es wohl zurzeit keinen sichereren Ort.« Ich deutete mit dem Kinn
in Richtung der Fotos. »Was für ein trauriges Familienschicksal. Wo lebt
eigentlich Gregor Munz jetzt?«
    »Gregor Munz?« Der Pfarrer zwinkerte.
    »Ja, er scheint ja keine Angehörigen mehr zu haben.«
    »Doch, doch.« Er hüstelte. »Ein Schwesterkind.«
    »Und dieser Simon hat sich wirklich erschossen?«
    Der Pfarrer wandte sein Gesicht dem Totenbild des jungen Mannes zu und
betrachtete es schweigend. Es erweckte den Anschein, als würden die beiden
Zwiesprache halten. Ich wollte meine Frage gerade erneut stellen, da sagte er:
»Soweit ich weiß, ist Simons Tod damals von der Polizei untersucht worden. Und
die Obduktion hat eindeutig Selbstmord ergeben.«
    Das Gute wiegt das Böse auf, der Himmel wird mein
Lohn . Diese Grabinschrift hatte sicher eine Bedeutung. Jemand oder etwas musste
den jungen Munz in den Tod getrieben haben.
    »Warum hat sich Simon Munz denn umgebracht?«
    Der Pfarrer schüttelte den Kopf. »Wer kennt schon die Gedanken eines
Selbstmörders?« Er bückte sich zu dem Grab hinab und riss einen einzelnen Löwenzahn
aus, dessen gelbes Köpfchen zwischen gezackten Blättern aus der Graberde wuchs.
»Ich war damals noch neu in Alpbach, ein ganz junger Priester«, sagte er. »Ich
kenne also die Umstände kaum.« Er richtete sich wieder auf und warf die Blume
achtlos auf ein Rasenstück zwischen den Gräbern. »Wenn S’ schon wegen des
Jagawirts nicht auf mich hören wollen, Frau Canisius, dann nehmen S’
wenigstens einen anderen Rat an.« Vom Kirchturm schlug es zwölf. Der Pfarrer
wartete, bis das Glockengeläut verklungen war. Dann sagte er: »Lassen S’
die Toten in Ruh. Und ihre Angehörigen auch. In Ihrem eigenen Interesse.«

ZEHN
    Nicht auf Erden suche mich, von den
Sternen grüß ich Dich.
    Die Sticknadel mit dem dunkelgrünen Faden fuhr in gleichmäßigen Stichen
durch das grobe Leinen. Langsam füllten sich die vorgezeichneten Buchstaben auf
dem Tuch mit Farbe. Hansi saß neben mir auf der Ofenbank und hatte den Kopf wie
ein eifriges Schulmädchen über ihre Handarbeit gebeugt. Während ich ein spätes Mittagessen
einnahm, war sie in der Stube erschienen und hatte sich wie selbstverständlich,
wenn auch mit etwas Abstand zu mir, an meinen Tisch gesetzt und ihre Stickerei
aufgenommen. Sie trug keine Trauerkleider, wie ich es von einer alten Frau am
Land erwartet hätte, sondern einen Flanellrock und einen hellgrauen Pullover.
    Die für Ende Oktober noch recht kräftige Sonne fiel durch die
Stubenfenster. Ihr Licht ließ Hansis weißes Haar schimmern und lag auf den
feinen Fasern, die von dem Leinen im Stickrahmen abstanden. Das grobe Gewebe
schien sich in einen glühenden Teppich zu verwandeln, aus dem die Nadel mit
leuchtender Spitze auftauchte.
    »Das wird aber schön«, sagte ich. »Es ist so entspannend, Ihnen zuzusehen.«
    Hansi ließ das so stehen und gab keine Antwort. Ein kurzes Lächeln zuckte
über ihr Gesicht, und die Nadel stach erneut ins Gewebe.
    Ich kann Handarbeiten nichts abgewinnen, aber an diesem Tag war ich guter
Stimmung. Meine Praxismöbel waren endlich geliefert worden, und Miranda und ich
hatten den ganzen Morgen mit dem Aufstellen und Einräumen verbracht. Endlich
trug unser Pioniergeist Früchte. Die Arbeitsabläufe in der Ordination würden in
Zukunft nicht nur

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