Jagablut
gekommen?«
Miranda lächelte. »Na, warum wohl?« Sie wedelte mit den Handrücken in
meine Richtung, als wollte sie mich hinausscheuchen. »Na los, Frau Doktor, jetzt
gehen Sie schon.«
Als ich das Wartezimmer betrat, erstarb jede Unterhaltung. Maxi Wagner
kletterte auf den Schoß seiner Mutter. Alois Rotter straffte seinen dünnen
Körper. Der Jäger hob den Kopf. Alle schauten mich an. Ich überlegte, wie ich
mich für die herzliche Anteilnahme bedanken konnte. Da erhob sich der Jäger,
den Pullover noch immer auf dem Arm, und trat auf mich zu. Er war ein gutes
Stück größer als ich, sodass er sich zu mir hinunterbeugen musste. Die
spatelförmigen Auerhahnfedern an seinem Hut tanzten vor meinen Augen.
»Frau Doktor?«
Man hätte eine Stecknadel fallen hören.
»Ja …?« Wie hatte Viktor ihn bloß genannt? Sepp?
»Also, ich wollte … ich hätte da … kurz gesagt, ich bin
deswegen hier.« Er wickelte den Pullover auseinander. Ein Stück braunes Fell tauchte
auf. Dann erschien der Kopf eines Welpen mit winzigen Schlappohren. Blaue
Babyaugen schauten mich an.
Das erste Mal an diesem Tag musste ich lachen. »Da sind Sie aber bei mir
falsch. Da müssen Sie zum Dr. Thurner.« Ich strich dem Hund mit dem Zeigefinger
über die Schnauze. Sein Fell war noch so weich wie Watte. »Ist der süß.«
»Das ist eine sie, das ist die Assia.«
»Die Assia, so, so, Herr …?«
»Raudaschl.« Er strahlte mich an. »Sepp Raudaschl.«
Sepp Raudaschl . Meine Nackenmuskeln verhärteten
sich. Sepp war die Kurzform von Josef. Das konnte nur ein böser Scherz sein.
Josef Raudaschl hatte man vor vierzig Jahren am Geiereck erschossen. Ich hatte am
Kirchhof vor seinem Grab gestanden.
Rasch zog ich die Hand zurück. »Was soll das?« Meine Stimme war rau.
»Was soll was? Die Assia ist die Tochter von unserer Senta.« Der Sepp hat eine gute Deutsch-Drahthaar-Hündin. Es ist ihr erster
Wurf. »Und weil Sie doch immer so allein durch den Wald rennen und
bei allem, was Ihnen in der letzten Zeit zugestoßen ist …«
»Woher …« Ich schluckte. »Woher wissen Sie, dass ich immer alleine
laufe?«
Er zog die Brauen hoch. Die Hutkrempe bog sich nach oben und die
Auerhahnfedern richteten sich auf. »Ich seh Sie doch jeden Morgen durch mein
Revier joggen.«
Nie hatte ich seine Gegenwart bemerkt. Aber ich zweifelte keine Sekunde
an seinen Worten. Alpbach hatte seine Augen überall.
Er sprach schon weiter. »… und da haben meine Frau und ich
beschlossen, Ihnen die Assia zu schenken.« Assia hatte sich schon zur Hälfte
aus dem Pullover herausgearbeitet. Ihr Hals war weiß gesprenkelt. »Es ist …
auch wegen dem Papa.« Er zögerte. »Wir wissen doch jetzt endlich, dass es der
Steiner war, der meinen Vater erschossen hat. Ohne Sie …« Seine Stimme
brach ab.
Im Wartezimmer erhob sich Gemurmel. Jemand klatschte.
Der Welpe war wirklich sehr süß. Ich streckte den gesunden Arm aus und
nahm Raudaschl den Hund ab. Assia begann sofort, mein Kinn zu lecken. Hinter
mir hörte ich ein Räuspern. Ich drehte mich um. Miranda stand in der Tür des
Anmeldezimmers.
»Ich dachte, während der Sprechstunde könnte er ja bei mir bleiben«,
sagte sie und hob einen Henkelkorb mit einem rot-weiß karierten Kissen hoch.
»Ist alles vorbereitet.«
Es war ein abgekartetes Spiel. Ich schaute den Welpen an. Der Wiener
Adventmarkt, mein Lieblingsitaliener und viele Einladungen warteten auf mich.
Mein Elternhaus mit den antiken Orientteppichen. Bestimmt war dieser Hund nicht
einmal stubenrein. Und was würden die Chihuahuas der geschönten Patientinnen zu
einem zotteligen Jagdhund aus Alpbach sagen?
Assia gähnte mir ins Gesicht. Ihre Milchzähne waren nadelspitz. Dann
legte sie den Kopf auf meinen Gipsarm und schloss die Augen. Ich wandte mich an
Raudaschl. »Braucht so ein Jagdhund nicht jede Menge Arbeit?«
Raudaschl nickte eifrig. »Also, das ist alles geregelt. Ich hab da mit dem
Vickerl gesprochen. Im Jänner beginnt der neue Kurs im Jagdzentrum, und im
April ist die Jagdprüfung. Der Andrang ist ziemlich groß, deswegen … also,
wir haben schon mal das Anmeldeformular für Sie ausgefüllt. Schießen tun S’
ja nicht schlecht, sagt der Vickerl …«
»Was?«
»Der Dr. Thurner hat heute schon zweimal angerufen«, ließ sich
Miranda vernehmen. »Ich hab Ihnen das Mittagessen mit ihm als Termin
eingetragen.«
Assia fiepte im Schlaf. Ein leichter Hundegeruch stieg mir in die Nase.
Er erinnerte ein wenig an den Duft von frischem
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