Jagablut
Zusammenarbeit in seiner Privatordination
angeboten. Ich freute mich auf meine Familie. Gemeinsam würden wir über den
Adventmarkt in der Innenstadt bummeln und Punsch trinken. Am Abend wollte ich
mit Freunden bei meinem Lieblingsitaliener essen. Frutti di mare statt
Hirschgulasch waren angesagt.
Aber heute musste ich in der Praxis noch Papierkram erledigen. Und ein
paar Patienten hatten sich auch angemeldet. Ich verschob den Gedanken an
Weihnachtspartys und drapierte meinen Anorak über den Gips. Dann machte ich
mich auf den Weg.
Die Kirchengasse mit ihren alten Bauernhäusern war tief verschneit.
Hierher verirrten sich keine Touristen. Trotzdem war der Schnee vor meiner
Praxis so zertreten, dass an manchen Stellen der Asphalt durchschimmerte. In
allen Fenstern brannte Licht.
Ich drückte die Tür auf und stieß gleich gegen einen Kinderwagen, der
dahinter abgestellt war. Frau Unterkofler, die kleine Joelina auf dem Arm, zog
ihn sofort beiseite.
»Grüß Gott, Frau Doktor.« Sie strahlte mich an.
»Sie stehen mit dem Baby in der Zugluft.«
Sie lachte und drückte das Kind an sich. Dann trat sie beiseite, und ich
sah, weshalb sie neben der Tür stand. In Alpbach musste eine Epidemie
ausgebrochen sein. Das Wartezimmer war bis auf den letzten Stuhl besetzt. Nicht
alle Gesichter kannte ich.
Neben der Tür zum Behandlungszimmer saß Alois Rotter und grinste mich
breit an. Er war rasiert, und sein ausgemergeltes Gesicht war gerötet. In der
einen Hand hielt er seinen Gehstock, mit der anderen stützte er eine Flasche
mit einer klaren Flüssigkeit auf die Knie. Neben ihm erkannte ich den Jäger,
dem Viktor und ich im Jagdzentrum begegnet waren. Auch im gut geheizten
Wartezimmer trug er seinen mit Auerhahnfedern geschmückten Hut. Er war kein
Patient von mir. Trotzdem lehnte er in Bundhose und Lodenjacke in dem mit
weißem Leder bezogenen Freischwinger. Die Beine hatte er vor sich ausgestreckt,
und unter den Profilsohlen seiner Bergschuhe hatte sich ein See aus
geschmolzenem Schnee ausgebreitet, in dem Erdkrumen und Tannennadeln schwammen.
In den Armen hielt er einen zusammengerollten Pullover.
Vor ihm hüpfte Maxi Wagner herum. Er schien sich von seiner
Mandeloperation gut erholt zu haben. Als der Junge mich bemerkte, blieb er
abrupt stehen und schlug sich die Hand vor den Mund.
»Guten Morgen«, sagte ich.
Die Menge murmelte einen Gruß und nickte.
Ich deutete in Richtung Anmeldung. »Ich bin gleich bei Ihnen.«
Vor Mirandas Zimmer standen zwei Teenager, die ich noch nie gesehen
hatte. Ich schob mich an ihnen vorbei und machte Miranda ein Zeichen. Sie warf
mir über den Rand ihrer Brille einen Blick zu und reichte einer Frau mit einem
kleinen Kind einen Terminzettel.
Ich wartete, bis die beiden hinausgegangen waren. Dann schloss ich die
Tür. »Was, zum Teufel, ist denn da draußen los?« Die Praxis war eine Woche
geschlossen gewesen. Aber der Kollege Loidl in St. Bartholomä hatte meine
Vertretung übernommen.
Miranda zuckte die Schultern. »Das geht seit acht Uhr so.« Sie schaute
auf ihren Computerschirm und drückte eine Taste. »Schon zwölf Patienten in der
Warteschleife.«
Dabei war es erst neun. Mir wurde schwindelig. »Sind die alle plötzlich
erkrankt?«
»Nein.« Sie schwang ihren Drehstuhl herum und deutete auf das
Fensterbrett hinter sich. Halb verdeckt von den Blättern des Gummibaums reihten
sich dort Päckchen, Zellophantüten mit Weihnachtskeksen und Flaschen mit sicher
hochprozentigem Inhalt. »Alles von unseren Patienten – mit den besten
Genesungswünschen.« Sie wandte sich wieder ihrem Computer zu. »Frau Meixner
will mal wieder ein neues Rezept. Die Unterkoflers haben ihren Kontrolltermin
einfach vorgezogen. Rotter Alois fehlt nichts, der will Ihnen nur seinen
Vogelbeerschnaps persönlich überreichen. Was den Maxi und seine Mutter angeht,
da kann …«
»Halt, halt, das reicht.«
Sie rückte ihre Brille zurecht. »Und jede Menge neue Patienten haben wir
auch.«
Ich ließ den Anorak von meinem Gipsarm gleiten. Miranda sprang auf und
nahm mir die Jacke ab. Sorgfältig hängte sie sie auf den Kleiderständer hinter der
Tür. Dann half sie mir in den weißen Kittel. »Ich hab einfach den linken Ärmel
abgetrennt. Ich hoffe, das macht nichts.« Sie hielt mir das zusammengerollte
Stethoskop hin.
In meinem Hals kratzte es. »Nein, natürlich nicht. Also dann – auf
in den Kampf.« Auf dem Weg zur Tür drehte ich mich noch einmal um. »Warum sind
die bloß alle
Weitere Kostenlose Bücher