Jagd auf Roter Oktober
Iwanow stand stramm.
»Gut.« Ramius ging zum Lazarett.
»Guten Morgen, Doktor.«
»Guten Morgen, Genosse Kapitän. Ist es Zeit für unsere politische Versammlung?« Petrow hatte in der Gebrauchsanweisung des neuen Röntgengeräts gelesen.
»Ja, Genosse, aber ich möchte nicht, dass Sie daran teilnehmen, weil ich eine andere Aufgabe für Sie habe. Es haben nämlich im Kontrollraum und an den Maschinen drei Jungen Wache.«
»Wirklich?« Petrow machte große Augen. Er war seit Jahren zum ersten Mal wieder auf einem U-Boot.
Ramius lächelte. »Keine Sorge, Genosse. Wie Sie wissen, kann ich von der Messe aus den Kontrollraum in zwanzig Sekunden erreichen, und Genosse Melechin kommt ebenso schnell an seinen geliebten Reaktor. Früher oder später müssen unsere jungen Offiziere lernen, auf eigenen Beinen zu stehen. Aber ich möchte, dass Sie sie im Auge behalten. Die Jungs wissen, was sie zu tun haben. Ich will nur sehen, ob sie den rechten Charakter haben. Wenn Borodin oder ich ihnen auf die Finger sehen, verhalten sie sich nicht normal. Fällt diese Aufgabe nicht in Ihr Fach?«
»Sie möchten also, dass ich beobachte, wie sie auf die Verantwortung reagieren.«
»Ja, frei von dem Druck der Anwesenheit eines höheren Offiziers«, sagte Ramius.
Dann ging er zur Messe, wo er von den anderen Offizieren erwartet wurde. Ein Steward hatte mehrere Kannen Tee und Schwarzbrot mit Butter gebracht. Ramius warf einen Blick auf die Tischecke. Der Blutfleck war weggewischt worden, aber er wusste noch genau, wie er ausgesehen hatte. Er schloss die Tür ab, ehe er sich setzte.
Normalerweise fand die politische Schulung auf See am Sonntag statt. In der Vergangenheit hatte Putin die Versammlung geleitet, Artikel aus der Prawda vorgelesen, Lenin zitiert und dann eine Diskussion über das Gehörte in Gang gebracht.
Nach dem Tod des Politoffiziers war dies nun Aufgabe des Kommandanten, doch Ramius bezweifelte, dass die Verfasser der Dienstvorschriften vorausgesehen hatten, welches Thema heute auf der Tagesordnung stand. Jeder anwesende Offizier war Teil der Verschwörung. Ramius gab einen kurzen Überblick über ihre Pläne – es waren leichte Änderungen erforderlich gewesen, die er bisher noch niemandem verraten hatte. Dann berichtete er von dem Brief.
»Es gibt also kein Zurück«, merkte Borodin an.
»Wir waren uns alle einig, was wir tun wollten. Nun sind wir festgelegt.« Ihre Reaktion auf seine Worte war so, wie er es erwartet hatte – nüchtern. Alle waren ledig, niemand hatte Frau oder Kind daheim. Alle waren gute Parteimitglieder. Und allen war eine tiefe Unzufriedenheit, in manchen Fällen sogar ein Hass auf die sowjetische Regierung gemeinsam.
Mit dem Planen hatte er kurz nach dem Tod seiner Frau Natalia begonnen. Der Zorn, den er fast unbewusst ein Leben lang unterdrückt hatte, brach mit einer Gewalt und Leidenschaft hervor, die er nur mit Mühe bezähmen konnte. Ein von Selbstbeherrschung bestimmtes Leben hatte es ihm möglich gemacht, seine Wut zu verbergen, und seine Marinelaufbahn versetzte ihn in die Lage, ihr ein angemessenes Ventil zu wählen.
Noch vor seiner Einschulung hörte er von anderen Kindern, was sein Vater in Litauen 1940 und nach der Befreiung von den Deutschen 1941 getan hatte. Ein kleines Mädchen erzählte ihm eine Geschichte, die sie bei ihren Eltern aufgeschnappt hatte, und Marko erwähnte sie bei seinem Vater. Zum Entsetzen des Jungen verschwand der Vater der Kleinen spurlos. Und wegen dieses unabsichtlichen Fehlers wurde Marko zum Denunzianten gestempelt.
Während seiner Entwicklungsjahre, als sein Vater über das Zentralkomitee der Partei in Litauen herrschte, wohnte der Junge bei seiner Großmutter mütterlicherseits, die ihn heimlich katholisch taufen ließ.
Großmutter Hilda erzählte ihm Gutenachtgeschichten aus der Bibel, die allesamt eine Moral hatten: Gut und Böse, Tugend und Belohnung. Als Kind fand er sie lediglich unterhaltsam, erwähnte sie aber nie bei seinem Vater, da er schon damals wusste, dass Alexander das nicht billigen würde. Und als der ältere Ramius wieder über das Leben seines Sohnes bestimmte, verblasste Markos Erinnerung an seine religiöse Unterweisung.
Als Junge ahnte Ramius nur, dass der Sowjetkommunismus ein grundlegendes menschliches Bedürfnis ignorierte. Als Heranwachsender hatte er schon konkretere Zweifel. Gewiss, das Wohl des Volkes war ein lobenswertes Ziel, doch der Marxismus verleugnete die Existenz der Seele und beraubte den Menschen seiner
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