Jagd in die Leere
Archer.
Zuerst – es gibt immer ein zuerst ; nur das Leben selbst läßt einen Ursprung vermissen – tat er die Kopfschmerzen als Folge von Überarbeitung ab, führte sie zurück auf die Dinge, die die Schweinehunde ihm jeden Tag antaten, jeden Tag im Büro, auf die zweimal wöchentlichen Unannehmlichkeiten, die er mit Della unter der Bettdecke hatte. Dann, als seinem Gedächtnis idiotische Fehler unterliefen (auf dem Weg zur Arbeit kaufte er an verschiedenen Plätzen drei Päckchen Zigaretten und wunderte sich dann, wann, zum Teufel, er angefangen hatte zu rauchen), tippte er auf Nervenschwäche. Und schließlich, als er Della in dem Restaurant angriff und ihr ins Gesicht sagte, er wisse, daß sie mit dem Oberkellner schlafen wolle, stellte er sich vor, es könnte eine leichte Paranoia sein. Das letztere war hart, immerhin. Ein Ehefrauen-Ankläger war Archer nicht. Er hatte seine eigenen Probleme.
Er kam auf dem Heimweg in einem Taxi wieder zu sich; zwei dienstbeflissene Streifenpolizisten neben sich, und Della, zusammengekauert auf dem Vordersitz. »Entschuldigung«, sagte er, als er sich in der Lage fühlte, überhaupt etwas zu sagen. »Ich glaube, ich stand heute unter ziemlich starkem Druck.«
»Druck?« sagte der jüngere Polizist. »Das ist mehr als Druck, mein Lieber. Sie suchen wohl besser einen Arzt auf. Ich habe Leute wie Sie in allen Altersstufen und Stadien erlebt, aber wenn sie anfangen, ihre Frau en in aller Öffentlichkeit zu verprügeln, wird es zuviel. Geben Sie mir da nicht recht?«
Archer glaubte das auch. Er nahm sich vor, am nächsten Tag qualifizierten ärztlichen Rat einzuholen. Als er, zusammengesunken in dem Taxi sitzend, darüber nachdachte, erwartete er mit Sicherheit, als verrückt eingestuft zu werden, daß man ihn einige Monate oder Jahre in ein ruhiges Sanatorium einliefern würde, bis er genug Pillen geschluckt hatte, um seine Sinne wiederzufinden. Aber das war eben eine der Strafen dafür, daß man im zwanzigsten Jahrhundert lebte. Es war die Hölle. Man mußte sich mit der Tatsache abfinden, daß Verrücktwerden ein normaler Schritt auf dem Weg zur geistigen Gesundheit sein konnte.
»Jedenfalls bist du gut versichert, Della«, murmelte er, wobei ihm egal war, ob die Polizisten zuhörten oder nicht. Die Police schließt eine Provision bei mentaler Krankheit ein; die Gesellschaft versichert einen umfassend. Natürlich muß man sich ein bißchen wundern, wenn dein Arbeitgeber dich für den Fall, daß du verrückt werden solltest, versichert hat, aber das Spiel ist zu weit vorangeschritten, um sich jetzt Gedanken darüber zu machen, nicht wahr?
Richtig schlimm wurde es erst, als Perkins, der Hausarzt, keine fünf Minuten nachdem Archer zur Untersuchung gekommen war, sofort mittels einer kleinen Lampe, deren Lichtstrahl er auf seine Pupillen richtete, es feststellte. Es war der totale Schrecken, mehr konnte man dazu nicht sagen. Kaum hatte Perkins gesehen, was zu sehen war, legte er die Lampe in eine Schreibtischschublade zurück und sagte zu Archer, er könne sich anziehen. Dabei zuckte er mit den Schultern und murmelte etwas von Pech. Was von Archer in jenem Augenblick vor allen anderen Dingen Besitz ergriff, war das Gefühl, betrogen worden zu sein; es war nicht gerecht, daß sein komplexer Zusammenbruch von ei nem Klumpen in seinem Schädel herrührte. Das machte jede Bedeutung zunichte. Es war – alles in allem – die verfluchteste Sache, die ihm je passiert war.
Alles, was Perkins sagen wollte, war, daß der Klumpen irgendwo im vorderen Gehirnlappen saß, keinesfalls in der Nähe des Großhirns – noch nicht –, aber groß genug war und genügend Ausläufer hatte, um die Verbindung zum Großhirn herzustellen. Er mußte schon seit einem Jahr oder länger dort sitzen, und Perkins sagte, daß das alles außerhalb seiner Kompetenzen läge. Er wuchs buchstäblich von Minute zu Minute.
»Der Teufel soll Sie holen«, sagte Archer blödsinnigerweise, schüttelte den Kopf und überlegte, wie er es Della beibringen konnte, die natürlich im Wartezimmer saß und Frauenzeitschriften las. »Ist das nicht eine verdammte Scheiße?«
Perkins sagte, er glaube, daß dies heutzutage gewöhnlicher sei, als er vielleicht annehmen würde, verbreiteter als wirkliche Geisteskrankheiten.
Dann wurde Archer mit einigen Sachen und etwas Glück und Unterstützung der Krankenkasse ins Krankenhaus geschafft, wo man in der Lage war, ihn am nächsten Morgen als ersten zu operieren. Das war an einem
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