Jagdopfer
sich wie ein kleiner brauner Wirbelwind herum und verschwand wieder im Stapel.
Sheridan stieß einen langen Pfiff aus. »Wow«, sagte sie. »Wow.«
Sie suchte die Cornflakes zusammen, die beim Essen ins Gras gefallen waren, und warf sie mit dem Rest, der sich noch in der Schüssel befand, Richtung Holzstapel. Hoffentlich erkannte das Geschöpf jetzt, was dieses Geräusch bedeutete - Futter.
Und dann waren es drei. Ihre Köpfe tauchten an einer Seite des Stapels auf - pop, pop, pop. Sofort erkannte Sheridan, dass das Tier, das sie zuerst gesehen hatte, das
größte und dunkelste war. Das zweite war auch braun, aber etwas heller, und sein Kopf war nicht so groß. Und das kleinste Tier war fast gelb und wirkte am geschmeidigsten. Wie diese sechs leuchtenden Augen sie anstrahlten! Sheridan platzte beinahe vor Glück, kicherte und hielt sich die Hand vor den Mund.
Eins nach dem anderen - vorneweg das große, dunkle Tier - schossen sie aus dem Stapel, schnappten sich ein paar Cornflakes, schoben sie in den Mund und flitzten wieder zwischen die Stämme. Bei ihrem dritten Beutezug schienen sie schon etwas zutraulicher und bewegten sich nicht mehr ganz so verhuscht. Das große, dunkle Tier wagte sich am weitesten vom Stapel weg, erhob sich auf die Hinterläufe und schob sich mit den Vorderpfoten Cornflakes in die schon prallen Backen. Es sah aufgeweckt aus - und lustig. Jetzt war es kaum noch einen Meter entfernt.
»Was tust du, Sherry?«
Lucys Stimme erschreckte Sheridan genauso stark wie die Tiere. Alle drei verschwanden im Nu wieder im Holzstapel.
»Was waren das für Dinger?« Lucy setzte sich neben Sheridan ins Gras. Die konnte vielleicht nerven!
Ganz die große Schwester, erklärte Sheridan mit sorgsam hin- und herweisendem Finger, das seien ihre geheimen Haustiere. Lucy dürfe Mom keinen Mucks davon erzählen. So richtig verstand Lucy das nicht. Sie fragte immer wieder, ob sie jetzt mit ihnen spielen könne.
»Wenn du Mom und Dad von den Tieren erzählst, sterben sie, und wir kriegen gewaltigen Ärger«, zischte Sheridan. »Alle meine Tiere sterben, wenn andere davon wissen.«
»Gehören sie mir auch?«
Sheridan unterdrückte ein spontanes »Nein« und schlug Lucy stattdessen einen Handel vor. »Von mir aus gehören sie uns beiden. Aber sie sind ein Geheimnis.«
»Geben wir ihnen Namen?«, fragte Lucy. Alles sollte bei ihr immer einen Namen haben. Sheridan war einverstanden.
Dann schickte sie Lucy mit der leeren Schale ins Haus: »Frag mal nach mehr Cornflakes.«
9
Am späten Nachmittag landete der Hubschrauber endlich im Lager der Ausrüster und flog Tote und Verletzte ins Krankenhaus von Twelve Sleep County. Dort warteten Sheriff Barnum und die Kriminalpolizei von Wyoming schon darauf, mit Joe zu sprechen. Er wurde mindestens fünfmal von verschiedenen Männern befragt, auch von Barnum. Joe konnte zwar nicht aussagen, er habe tatsächlich gesehen, dass der Mann auf Wacey oder McLanahan gezielt habe; seine Waffe habe er aber erhoben. Ob das Opfer der Schießerei vielleicht gerade die Hände habe hochstrecken wollen, um sich zu ergeben? Nein, sagte Joe, das glaube er nicht. Die Kripo bohrte an diesem Punkt nicht weiter.
Nach der Befragung hoffte Joe, fünfmal dieselbe Geschichte erzählt und keine widersprüchlichen Aussagen gemacht zu haben. Dem Ton und den Fragen der letzten Gespräche nach zu urteilen, war jedenfalls klar, dass die Schüsse als gerechtfertigt betrachtet wurden.
Erstaunlicherweise lebte der im Camp Zusammengeschossene noch und war mit dem Hubschrauber in die Unfallchirurgie nach Billings geflogen worden. Nach Joes letzter Information war er in kritischer Verfassung und würde die Nacht kaum überstehen. Er war siebenmal getroffen worden - vom Streufeuer aus fünf Schrotladungen, die McLanahan ziemlich unbesonnen auf ihn abgegeben hatte, und von zwei Kugeln aus Waceys Gewehr.
Bei dem Schwerverletzten handelte es sich um Clyde Lidgard, einen Mann aus der Gegend, der außerhalb von Saddlestring in einem völlig heruntergekommenen Wohnwagen an der Straße zur Mülldeponie lebte. Lidgard war reichlich seltsam - eine Art moderner Waldläufer. Früher hatte er im Sägewerk gearbeitet und lebte nun von einer Erwerbsunfähigkeitsrente und davon, sich um ein paar Sommerhütten in den Bergen zu kümmern. Lidgard war kein Ausrüster, und niemand hatte ihn je mit einem der Ermordeten gesehen. Joe war einmal bei ihm gewesen, nachdem jemand angerufen und berichtet hatte, in der Nähe der
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