Jagdopfer
gepresst.
Als er sie von der Wange löste, war sein Lederhandschuh blutverschmiert. Erneut krachten mehrere Schüsse, und Joe dröhnten die Ohren. Er kroch zu den Baumwurzeln zurück. Gerade brach das mittlere Zelt unter dem Gewicht des Mannes, der sein Gewehr gehoben hatte und nun mit ausgestreckten Armen rückwärtstaumelte, zusammen. Dunkelrote Blumen blühten auf seinem Thermounterhemd. Er lag reglos da, die Arme abgespreizt, das Gewehr zu Füßen. Wacey schrie McLanahan an, das Feuer einzustellen.
Dann wandte er sich zum Lager und rief: »Ihr da im Zelt! Werft die Waffen raus und kommt - Hände hinterm Kopf - ins Freie! Hier sind zwölf bewaffnete Marshals, und einen von euch haben wir schon erledigt!«
Joe hob die Schrotflinte und zielte auf das rechte Zelt. Sofort war der Gewehrkolben von seinem Blut glitschig. Sein Gesicht war ganz taub - er würde die Wunden begutachten, wenn das hier vorbei wäre.
Im Lager rührte sich nichts.
Wacey bellte noch eine Warnung. Wie Joe warf er nervöse Blicke nach dem Mann auf dem mittleren Zelt. Keiner von beiden bemerkte eine Bewegung. Das Zelt war jetzt ganz zusammengebrochen, und der Mann lag zum Teil unter dicken, schmutzigen Leinwandfalten.
Wacey kam hinter seinem Felsen hervor und ging langsam auf das Lager zu. Seinen Karabiner hielt er schussbereit in den Händen. Er hatte mindestens einmal gefeuert, denn beim Durchladen flog eine leere Patronenhülse aus Messing ins Gras. McLanahan erhob sich aus seinem Versteck direkt Joe gegenüber und lud seine Schrotflinte mit kurzen, dicken Patronen nach.
Du hast mich getroffen, dachte Joe. Eine deiner
Schrotkugeln war ein Querschläger und hat mich mitten im Gesicht erwischt, McLanahan.
Wacey hatte schnell festgestellt, dass sich im linken Zelt niemand befand, und ging nun über die Feuerstelle auf das mittlere zu, aus dem der Mann gekommen war. Er kauerte sich kurz bei ihm nieder und vergewisserte sich anscheinend, dass er keinen Ärger mehr machen würde. Joe sprang über den Bach und näherte sich von der Seite dem Zelt, aus dem der Dachs gekommen war.
»Jemand da?«, rief Wacey zum rechten Zelt rüber.
Joe roch es, bevor er es sah. Als Wacey den Eingang aufklappte, würgte Joe und drehte sich ab.
Kyle Lensegrav und Calvin Mendes lagen in ihren Schlafsäcken. Dort waren sie zwei Nächte zuvor erschossen worden. Der Dachs hatte ihre bleichen, nackten Arme und Teile ihres Gesichts bis auf die Knochen sauber abgenagt.
8
Sheridan saß hinterm Haus im Schatten der großen Pyramidenpappel und aß mit den Fingern eine Schale trockene Cornflakes. Ihr blaues Schulkleid trug sie noch, Schuhe und Strümpfe aber hatte sie ausgezogen. Beim Essen beobachtete sie den Holzstapel und wartete - hoffentlich würde etwas passieren.
Jemand aus der Stadt hatte angerufen und Mom berichtet, Dad sei wohlauf und komme bald nach Hause. Jetzt brachte Mom gerade Sheridans Großmutter Missy telefonisch die gute Nachricht. Wenn Mom mit ihr
sprach, dauerte das immer ewig. Im Unterschied zu anderen Großmüttern bestand Missy darauf, dass ihre Enkelinnen nicht »Oma« zu ihr sagten, sondern sie beim Namen nannten. Umgekehrt waren Sheridan und Lucy für Missy auch nicht »Enkelinnen«. Sheridan spürte, dass es Missy peinlich war, überhaupt welche zu haben, und fand es immer etwas albern, eine so alte Dame statt mit »Oma« mit »Missy« anzureden. Missy - so ein Leichtgewicht von einem Namen.
Mom hatte erzählt, die Ganoven seien geschnappt worden und Dad habe eine Schramme abbekommen, nichts Schlimmes. Er werde die Nacht im Krankenhaus in Saddlestring verbringen und jede Menge Fragen beantworten müssen. Dann komme er wieder nach Hause. Sheridan war erleichtert.
Das Motel war für eine Nacht ganz nett gewesen, aber Sheridan war froh, wieder zu Hause zu sein. Doch - es hatte dort schon Spaß gemacht. Zum Abendbrot hatte sie mit Lucy Popcorn gegessen, das nach Garnelen schmeckte - sehr lecker. Und ihr Fernseher hatte mehr als dreißig Kanäle. Und erst der Fahrstuhl - stundenlang war sie mit Lucy die vier Stockwerke rauf- und runtergefahren. Dann war da ein ganzes Zimmer voller Spielautomaten gewesen, und Sheridan hatte Mom gefragt, ob sie mit ihr flippern würde, und sie hatte Ja gesagt! Eigentlich konnte Mom ganz lustig sein, wenn sie wollte, und Sheridan war ziemlich platt, dass sie früher schon mal geflippert hatte. Sie wusste sogar, wie man mit der Hüfte richtig gegen das Gerät stößt, um dem Ball etwas nachzuhelfen. Auch toll,
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