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Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
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schwieg ziemlich hartnäckig, noch als es zwei Jahre alt war. Es hörte den Erwachsenen zu, aber auf Fragen gab es selten Antworten. Es betrug sich diplomatisch. Da mochte nun Aggie Brüshaver nach dem Befinden des Kindes fragen, sie mußte es doch raten. Wenn Heine Klaproth das Kind zu seinen Kaninchen einlud, mußte er eben abwarten, ob es ihm hinterherging oder ob sie nicht unverhofft sich abgewandt hatte und nur noch ein einsamer Holzpantoffel zeigte, daß sie eben noch da war. Und da konnte Methfessel das Kind anhalten auf dem Markt und sich erkundigen mit seiner verschwörerischen Stimme, seinem sanften Gelächle: Möchtest du ein Löwe sein? Kannst du wieder alles essen? Aber vielleicht begriff das Kind bei ihm, daß er keine Antworten mehr benötigte. Sie sah ihn freundlich an, und dann zog sie ein bißchen an der Hand ihres Vaters, damit er sie ansah, und Cresspahl sah sie an und verstand, daß sie die Verhandlungen mit Methfessel abgeschlossen hatte und nun bereit war zum Weitergehen.
    – Also. Wie ich?
    – Wie du. Du warst so noch, als wir in New York ankamen. Null zu Eins. Allerdings für mich.
    – Und das Kind von Cresspahl ging so gerne spazieren.
    – Mit ihm. Mit ihm ging sie Holz kaufen, Steuern bezahlen, zum Friseur, zu Wulff. Wulff seinen Krug hatte Cresspahl ihr erklärt als ein Apfelsaftgeschäft, und sie muß es verstanden haben. Da hatte sie auch etwas gelernt: sie mochte nur Apfelsaft, nicht Faßbrause, und wenn sie den Kopf schüttelte, nahm Wulff die Faßbrause wieder weg und brachte den Apfelsaft. Das hatte zu Hause, bei Lisbeth hatte das gar keine Aussicht. Das Kind ging gern in Apfelsaftgeschäfte, und kannte sie alle in Jerichow. Lisbeth merkte das eines Vormittags beim Einkaufen, als das Kind sie in den Lübecker Hof ziehen wollte. Lisbeth verstand das Kind nicht, und versuchte weiterzugehen. Das Kind legte sich vor der Treppe zum Lübecker Hof auf das staubige Pflaster, flach auf den Bauch, und ließ sich nur mit Gewalt, unter Geschrei von da entfernen. Sie brachte ihren Widerspruch dadurch zum Ausdruck, daß sie das Gehen verweigerte, und Lisbeth mußte sie durch die ganze Stadt nach Hause tragen, und das Kind schrie bis hinter Cresspahls Tür, und so kamen Lisbeths Fähigkeiten als Mutter zum ersten Mal in Jerichow ins Gerede. Das Kind war mit seinem Vater zugange, auf Spaziergängen, auf Spazierfahrten, beim Arbeiten im Garten, beim Baden in der Ostsee, immer, überall, wann immer er sich außerhalb der Werkstatt zeigte, und weil du dies alles nicht gehabt hast, gebe ich dir sofort und unwiderruflich und unter Androhung von Weiterungen einen Punkt. Eins zu Eins und Ende.
    – Wein doch nicht Gesine. Hör doch auf. Soll ich dir ein Glas von D. E.s Whiskey bringen? Wein doch nicht, Gesine!
     
    Yes sir: sagten die Männer im Lastwagen.
     
    An einem grauen Vormittag
    Mitten im Whisky
    Kam Gott nach Mahagonny
    Kam Gott nach Mahagonny.
    Mitten im Whisky
    Bemerkten wir Gott in Mahagonny.
     
    Ansahen sich die Männer von Mahagonny.
    Ja: sagten die Männer von Mahagonny.
     
    An einem grauen Vormittag
    Mitten im Whisky
    Kommst du nach Mahagonny,
    Kommst du nach Mahagonny.
    Mitten im Whisky
    Fängst an du in Mahagonny!
     
    Ansahen Gott die Männer von Mahagonny.
    Nein: sagten die Männer von Mahagonny.

16. Dezember, 1967 Sonnabend
    Heute ist ein schlechter Tag für die Union der Sowjetischen Sozialistischen Republiken. Nicht nur wurde gestern der Sergeant Ulysses L. Harris aus New Jersey wegen Spionage für sie zu sieben Jahren Zwangsarbeit verurteilt, überdies plaudert die New York Times es heute vor aller Welt aus. Und in Italien verlor die Union der Sowjetischen Sozialistischen Republiken ihre Spione Giorgio Rinaldi auf 15 Jahre, Angela Maria Rinaldi auf 11 und Armando Girard auf 10 Jahre Zuchthaus.
    Ob wohl der Zinseszins für die weiterlaufenden Gehälter hinzukommt?
    Bei Hanoi will die Luftwaffe zwei Bögen der Longbien-Brücke zerschmissen und einen dritten angeknackt haben. Und der Komiker Bob Hope ist abgereist zu seiner jährlichen Weihnachtstour bei den Truppen in Viet Nam, der Kardinal Spellman ist ja tot, und VERGISS NICHT DIE BEDÜRFTIGEN !
    Im Postamt Morgan, vornehmlich für Auslandssendungen, hat es zum zweiten Mal gebrannt, diesmal aber in allen zehn Stockwerken, und es sind Weihnachtspakete tonnenweise zerstört.
    Und mit Söhnchen Franzese und seinen drei Freunden hat die Gerechtigkeit ihren Lauf genommen. Sie haben da jemanden, Herrn Walter Sher, wegen

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