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Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
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ihres Sieges ganz sicher.
    – Jawohl, und der Bär war in anderen Kreisen bekannt als Winnie-the-Pooh.
    – Jetzt hab ich dich: sagt Marie, gelassen und kühl wie eine Gurke. - Das hast du von mir. Denn wir haben die deutsche Übersetzung, da in deinem Glasschrank, und darin steht: Copyright 1938. Wir sprechen aber vom März 1935. Da gab es das noch nicht. Das hast du aus meinem Leben gestohlen, und es steht nunmehr Zwei zu Eins. Für mich.
    – Vielleicht nicht. Denn in dem Schrank steht auch ein Buch, darin findest du unter dem Namen Milne, Alan Alexander: Winnie-the-Pooh, 1926 (Pu der Bär, 1928).
    – Verdammt: sagt Marie. - Entschuldige, aber ist es nicht ärgerlich? Übrigens bin ich dafür, daß einem für jeden Fehler ein Punkt abgezogen wird. Das wäre also Eins zu Null, für dich.
    – Du konntest das nicht wissen, Marie.
    – Anyway, it’s a principle, as of now.
    – Einverstanden. Grundsätzlich.
    – Wieso haben wir denn die deutsche Ausgabe von 1938? Das ist doch deine.
    – Weil ich sie erst 1939 bekam, von Hilde Paepcke, zum Geburtstag.
    – Woher wußte das Kind Gesine denn schon 1935 von Mr. Sanders, Winnie-the-Pooh?
    – Von Cresspahl. Cresspahl erzählte dem Kind Geschichten.
    – Aha.
    – Das Kind wußte nicht, unter welchem Namen Edward Bear ganz allein in einem Wald wohnte, und nicht, welchen nom de guerre er im gesellschaftlichen Verkehr benutzte. Das Kind wußte nur, daß sein Spielbär Bear hieß, und Cresspahl meinte eben diesen Edward, den er 1929 bei englischen Kindern kennen gelernt hatte.
    – Das war ein Trick, Gesine.
    – Ja, womöglich. Willst du einen Punkt?
    – Ich verdien mir meine Punkte ehrlich, und ich weiß auch schon wie. Das Kind kannte den englischen Namen des Bären. Wie ich.
    – Dir hab ich vorgelesen aus dem Buch, das ich von Hilde Paepcke habe. 1959 lebten wir in Düsseldorf, und du hattest noch deine Muttersprache. Deutsch.
    – Da hab ich einen Unfall gebaut: sagt Marie, jetzt fast verwirrt. Sie ist aber tapfer, sie sagt: Minus Eins zu Plus Eins. Für dich.
    – Ich bin nun doch gegen das Abziehen der Punkte, Marie.
    – Du bist ganz gut als Mutter, Gesine. Jede andere Mutter, die ich kenne, hätte gelacht. Aber das reicht. In Watte packen mußt du mich nicht.
    – A tua disposizione, Fanta Giro. Minus Eins zu Plus eins. Für mich.
    – Wie sagte ich meinen Namen, Gesine?
    – Ma-i.
    – Und das Kind bei Cresspahl?
    – Geh, Sine.
    – Kein Punkt.
    – Spielstand unverändert.
    – Das ist kein Spiel, Gesine!
    – Torverhältnis auf dem alten Stand, Marie.
    – Sagen wir mal, das Kind in Cresspahls Haus, es mochte nicht alles.
    – Haareschneiden.
    – Wie ich! Wie ich! Eins zu Null, wenn auch für dich.
    – Aber das Kind weinte über den Verlust seines eigenen Haares nur ein einziges Mal. Dann hatte Cresspahl sich etwas ausgedacht und nahm das Kind an die Hand und ging mit ihm spazieren auf der Stadtstraße von Jerichow.
    – Auf der Adolf Hitler-Straße. Kein Punkt.
    – Auf der Straße des Österreichers in Jerichow und kaufte eine Hammelkeule bei Schlachter Klein und eine Manchesterhose bei Tannebaum und eine Postkarte auf der Post, und das Kind ging ihm immer hinterher, in ein Geschäft nach dem anderen, und auch in den Laden von Fiete Semmelweis, Salon für Herren- und Damenfrisuren, f. f. Rasuren. Und das Kind sah zu, wie Cresspahl sich außer der Reihe, schon vierzehn Tage nach dem letzten Schnitt, etwas von seinen Haaren abnehmen ließ. Cresspahl hatte Semmelweis etwas zugemurmelt, damit er ihm nicht geradezu das Haupt kahl schor, und Semmelweis war sehr gerührt und auch ein wenig entzückt, und das Kind sah, daß das Geschäft des Haareschneidens für die beiden Männer eine vergnügliche, eine lustige Sache war, und ließ sich beim nächsten Mal ohne Gegenwehr ein bißchen von seinem Haar rauben und hielt es wohl für ein Geschenk an Cresspahl. Denn vor Lisbeths Schere ging sie weg, zu Cresspahls Schere ging sie hin.
    – Minus Eins zu Plus Eins. Für dich.
    – So meinte ich es nicht, Marie.
    – Ich mein es so. Ich hab dies angefangen.
    – Denk doch mal an das Schneiden der Fingernägel, Marie.
    – Damit du dem Kind von Cresspahl anlügst, daß es auch weinte beim Nägelschneiden, und schon hab ich einen Punkt. Ich will keine Schummelei.
    – Es ist nicht ein fairer contest, Marie. Ich meine: Wettstreit. Ich kann ja gar nicht anders als gewinnen, wenn ich nicht Schmu mache.
    – Ich weiß noch etwas. Das Kind sprach so wenig.
    – Das Kind

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