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Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl

Titel: Jahrestage 1: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
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sie gedrückt in den Bussen und Ubahnen, wachsam bis zum Mißtrauen, und ließ sich erst im späten Nachmittag von eintönigen Fahrtbewegungen in den Schlaf tölpeln. Sie zog den Kopf zwischen die Schultern, wenn Gesine ihr aus den Wohnunganzeigen der New York Times vorlas, ihr lag nicht an den bewachten Fahrstühlen, nicht an der Klimamaschine; sie fragte nach Schiffen. Sie sah mit einer Art Befriedigung umher in den Wohnungen, die Gesine erschwingen konnte, knausrig geschnittenen und schäbig möblierten Zimmern, drei Fenster zum nachtdunklen Hof und eins auf die kahle harte Gegenfront, teuer weil frei von Negern als Nachbarn; sie kamen den Gartenfenstern in Düsseldorf nicht gleich, die mußte sie sich nicht bieten lassen. Das Kind nahm sich kein englisches Wort an, sie ließ sich die Grüße und Zurufe und Schmeicheleien in Imbiß-Stuben im Bus in der Hotelhalle gefallen als sei ihr das Gehör ausgegangen, Antwort gab sie nur mit einem verzögerten wütenden Kopfschütteln bei niedergeschlagenen Lidern. Sie war so still versessen auf die Rückkehr, sie wurde wieder und wieder wohlerzogen genannt. Sie fing an, das Essen zu verweigern, weil das Brot, das Obst, das Fleisch anders schmeckten. Gesine überwand sich zu Bestechung und erlaubte ihr Trickfilmprogramme im Bildfunk anzusehen; das Kind kehrte sich ab vom Schirm, nicht trotzig. Das Kind stand am Fenster und sah hinunter in die von hochstöckigen Fassaden verdunkelte Straße, in der alles anders war: die knallbunten Taxirudel, die uniformierten, trillernden Portiers unter ihren Baldachinen, die amerikanische Fahne auf dem Harvardklub, mit Knüppeln spielende Polizisten, der weiße Dampf aus den Schächten der Fernheizung, leuchtend in der fremden Nacht. Sie fragte nach Flugzeugen. Gesine war erleichtert, wenn das Kind nach vieltägigem Betrachten fragte, warum manche Leute hier eine dunkle Hautfarbe haben, oder warum alte Frauen aus dem Schwarzwald Juden sind; das meiste Gespräch war stumm, blickweise, in Gedanken:
    gäbst du überhaupt auf, mir zuliebe?
    Gib mir diese zwei Jahre. Dann gehen wir nach Westdeutschland für so lange du willst.
    Denkst du denn aufzugeben
    Dem Kind zuliebe ließ Gesine am zwölften Tag das Suchen in Manhattan sein und verlegte sich auf die Villenviertel in Queens. Der Zug kletterte aus dem Tunnel unter dem East River auf die hohen Stelzen gegenüber den Vereinten Nationen, und das Kind sah entmutigt und rechthaberisch auf die übermenschlich hohe Zackenlinie des anderen Ufers und dann auf die ärmlichen niedrigen Kästen, die einstöckige Wüstenei (wie ein Dichter sagt) rechts und links der Bahn. Aber in Flushing fanden sie Parkstraßen, breit zwischen Rasenhängen, von alten Bäumen beschattet, locker eingefaßt von abständigen Häusern aus weißem Holz und schiefrigen Dächern nach dem Muster der Bauern, und Gesine bat dem Kind nicht mehr heimlich ab. Das Kind sagte: Wollen wir nicht lieber an einem Strand suchen gehen?
    Der Makler in der Hauptstraße war ein gesetzter, leise sprechender Mann über die Fünfzig, ein Weißer. Wenn er die Brille abnahm, sah er erfahren aus. Alter ließ ihn verläßlich scheinen. Er hatte möblierte Wohnungen in den Baumgebieten vorrätig, mit Treppen zu Gärten, mit Schwimmbädern um die Ecke. Gesine konnte hier bezahlen. Der Mann lächelte dem Kind zu, das steif vor Empörung die Ansiedlung für geschehen hielt. Er sprach über die Gegend, nannte sie anständig und jüdisch und sagte: Haben Sie keine Sorge, wir halten die shwartzes schon draußen. Gesine nahm in einem Griff das Kind vom Stuhl, die Tasche vom Tisch und war auf dem Bürgersteig, auch sorgfältig bedacht, die Glastür mit einem Knall gegen den Rahmen zu werfen.
    Abends saßen sie in einem Restaurant auf dem Flughafen Idlewild und sahen die Maschinen auf das Feld hinausziehen, vor dem schwärzlichen Himmel aufs Meer hinaus starten. Sie versuchte dem Kind zu erklären, daß der Makler sie für eine Jüdin gehalten hatte, für einen besseren Menschen als eine Negerin. Das Kind wollte wissen was das heißt: You bastard of a Jew, und verstand, daß Wunder möglich sind, sah den Koffer mit dem Spielzeug aus dem Hotel angefahren kommen, wußte sich schon im Flugzeug, morgens zu Hause. Gesine war bereit, aufzugeben. Unter solchen Leuten ist nicht zu leben.
    Die westdeutsche Regierung will die Verjährung für Morde und Massenausrottung in der Nazizeit ganz und gar aufheben, vielleicht.
    Die leichte Artillerie kann man mit der Post

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