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Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
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Mrs. Elizabeth Trowbridge ohne sein Wissen in die Welt gebracht habe. Er hatte lange gewartet auf die Gelegenheit, erst nach dem Abendbrot entschieden, ob es ein »guter« Tag war. An solchen Abenden, die Arbeit getan, Haus und Kind versorgt, sprachen sie mit einander, als seien sie zusammen aufgewachsen, rasch, kaum vorsichtig, immer auf der Hut vor der Neckerei des anderen, nicht verlegen um die passende Münze, in halben Sätzen, auf die der andere die Antwort vorwegnahm, einander willkommen, und sahen einer an dem anderen um Stunden nicht vorbei. Das waren für Cresspahl Erinnerungen an die ersten Jahre, als sie von Schuld und den nicht lebenswerten Stellen in der Bibel noch nichts gewußt hatte; es waren auch Vorstellungen, Aufführungen, denn das Ende blieb sich gleich, daß sie als erste zu Bett ging und allein.
    Sie hatte das Geburtsdatum des anderen Kindes wissen wollen. Mai 1932, es schien sie nicht zu kränken. Dann hatte sie gesagt: Heinrich, daß sie doch hier lebte; nicht zu dicht an Jerichow, nicht zu weit. Könntest du mit ihr leben, und doch mit mir.
    Und so oft er verglich und sich einprägte, wie ihre Zustände umschlugen, er fand nicht, was sich da in Gang setzte, oder ob er das tat. Das kam von einem Tag auf den anderen, und schon am Abend betete sie am Bett des Kindes von dem Krieg, über den er mittags etwas vorausgesagt hatte. Er hatte inzwischen gelernt, daß sein Reden bei ihr nun lange nicht anschlagen würde, und daß sie die aus der verschlagenen Zeit erst wieder sein würde, wenn sie dazu imstande war, und es zeigen konnte.
    Bed, Kinning, bed.
    Morgn kümmt de Swed.
    Morgn kümmt de Ossenstiern,
    Nimmt di hoch up sine Hürn.

29. Dezember, 1967 Freitag
    Bei Maxie’s Gemüsegeschäft war heute zu bezahlen:
    Kartoffeln
5 lb.
$ 0.39
Bohnen
1 lb.
0.35
Gurken
2 St.
0.25
Chicoree
1 lb.
0.69
Rhabarber
1 lb.
0.39
Äpfel
2 lb.
0.29
Apfelsinen
5 St.
0.35
Wrukken
1 lb.
0.10
Zwiebeln
1 lb.
0.15
Salat
1 Kopf
0.29
Sellerie
1 Staude
0.29
     
    Bei Sloan oder Daitch, Feinkost:
    Kaffee
1 lb.
0.81
Apfelsaft
1 qt.
0.41
Butter
8 oz.
0.46
Milch
2 qts.
0.56
Brot
1 lb.
0.33
It. Öl
16 fl.
0.85
Tomaten, geschält
8 oz.
0.27
Eier
6 St.
0.27
Buttermilch
1 qt.
0.29
Streichhölzer
10 Sch.
0.10
Waschpulver
3 lb.
0.78
Mayonnaise
8 fl.
0.29
Tomatenpüree
1 lb.
0.25
Quellwasser
2 qts.
0.41
Aluminiumfolie
25 ft.
0.25
süsse Sahne
1 pt.
0.69
Bohnen, getrocknet
1 lb.
0.24
Bitter Lemon
6 Fl.
1.15
     
    Bei Schustek, Schlachterei:
    Rindfleisch,
Schmorbraten
3 lb.
4.95
1 Huhn
40 oz.
1.55
Teewurst
8 oz.
0.74
Import-Cervelat
8 oz.
1.00
    Und Schneesturm. Die Sonne kam erst gegen Mittag durch.

30. Dezember, 1967 Sonnabend
    Das Ministerium für Gesundheit und Sozialfürsorge der Volksrepublik Polen hat der jüdischen Hilfsorganisation JOINT gedankt für die großzügige Hilfe bei der Unterstützung und Ausbildung polnischer Juden, auch für die Pensionszahlungen an katholische Familien, die Juden vor den Nazis retten halfen. »In dem Brief wurde mitgeteilt, daß solche Hilfe nicht länger nötig sei, nachdem Polen sich zur Genüge erholt habe von der Verwüstung durch die Nazis während des II . Weltkrieges, die unter anderem die jüdische Bevölkerung Polens von 3 500 000 auf heute etwa 30 000 Menschen reduziert hat.«
    1937 war Cresspahl immer noch nicht sicher, wer er denn war in der kleinen Stadt Jerichow, wen er denn vorstellte für die anderen Einwohner, inzwischen zweitausendvierhundertneunzig an der Zahl.
    Für einen Judenfreund galt er nicht, obwohl er immer noch mit dem Tierarzt Semig Umgang hielt, einem Juden, als sei ihm der 1. April 1933 nicht nacherzählt worden. Das ließ sich nehmen als Eigensinn, daß Cresspahl mehrere Male in der Woche hielt vor Dr. Semigs stattlicher Villa an der Bäk von Jerichow und in Körben etwas hineintrug, dann aber länger im Haus blieb, als für eine bloße Ablieferung von Obst oder Wildbret nötig war. Womöglich tat er das Dora Semig zuliebe, der geborenen Köster, die so wenig »unarisch« war wie er. Und, auch bei Lichte besehen, Arthur Semig war nur
ein
Jude. Es mochte ja sein, daß Einer das in England so lernte, mit Juden umzugehen, als wären das auch Freunde.
    »Der Engländer« hieß Cresspahl in Jerichow.
    Es war ihm recht, denn es war so gut, als hätten sie ihm zwar Lisbeth gegönnt, aber Lisbeths Familie verziehen. Er hätte nicht geradestehen mögen für die Papenbrocks. Einmal waren sie bloße fünfzehn Jahre in der Stadt, und

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