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Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
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alten Mann ab, der am Niedergang zur Wäscherei von Mr. Fang Liu wartet, ein Herr vormals, dem Unordnung noch nur an den fransigen Hosenbeinen anzusehen ist. Er ist zurückgetreten, sobald er Marie sah.
    Er hat es schon einmal versucht. Er ist ohne Übung, muß immer ansetzen mit einem Bitte, das nach seinen früheren Zeiten klingt, bricht leicht ab: Bitte. Madam. Es tut mir leid Sie aufzuhalten, Sie sind sehr liebenswürdig Madam Danke Ihnen Madam: Danke. Heute morgen muß er den Hut vom Kopf nehmen und grüßen, weil er sich vor dem Kind schämt.
    – Zwölf Jahre, und dann geh ich für dich auf Arbeit: sagt Marie, unverhofft bedrückt. Sie geniert sich, auf offener Straße umarmt zu werden, und sei es nur für einen Augenblick Wange an Wange; heute morgen hat sie es gewünscht.
    In der kampferduftenden, knackenden, der rasenden Ubahn berichtet die New York Times mit ihrer beherrschten, damenhaften Stimme, daß am 26. September 1967 Herr Gostev vom moskauer K. G. B. an den Chemophysiker Pavel M. Litvinow die folgende Frage stellte: Könnten Sie unter irgend möglichen Umständen zu der Meinung gelangen, daß ein sowjetisches Gericht, im fünfzigsten Jahr der Sowjetherrschaft, ein falsches Urteil verhängen würde?
    Können Sie sich das vorstellen?
    Aus den Publikumsräumen der Bank ist die weihnachtliche Reklame verschwunden, von den Fluren die Tannenkränze, von den Schreibtischen die Glückwunschkarten. Der Fernschreiber rasselt, als habe er nie stillgestanden. Die Angestellte Cresspahl hat bis elf Uhr zwei Briefe nach Frankfurt an die Deutsche Bank vorzubereiten, einen an die Bank des Heiligen Geistes in Turin, einen an das Privatbüro von Giovanni Agnelli. Um zwölf wird eine italienisch/französische Vertragsfassung erwartet, um zwölf Uhr dreißig hat sie Termin beim Vizepräsidenten. Und wenn es geht, soll sie nachmittags in der Abteilung Südamerika den Überhang an Kreditbriefen abtragen helfen, allerdings aus Freundschaft. I’d be delighted, Guarani. Der Vizepräsident zieht seinen Termin mit Bedauern zurück, ist nach Mexico geflogen. Nein, zur Jagd nach Canada. Im Gegenteil, der hilft heute Xerox kaufen.
    Erblindung durch Wiederholung. Man heißt in einem Laden Antipasto, im anderen Gauloise, in noch einem Kaffee, schwarz, groß. An den Kindertischchen bei Tausend Delikatessen, immer angestoßen von der hastigen Schlange der Mittagesser, saßen behaglich zwei weiche Herren, italienisch anmutend, hatten etwas abgeschlossen und tranken einander zu, mit Bier in Pappbechern, mit eher liebevollem Lächeln, vertrauensvoll. Denn nicht Vergiften ist des Landes Brauch, er ist Erschießen, Erschießen.
    Dear Sirs: We hereby establish our IRREVOCABLE credit in your favor, available by your drafts drawn at 90 (ninety) days sight for any sums not exceeding a total of about U. S. $ 80 000. - accompanied by commercial invoice describing the merchandise as indicated below … Dear Sirs. Und du lernst auch noch was dazu, Gesine.
    There is a message for you, Mrs. Cresspahl. Gesine, da ist was für dich. Dein Kind hat angerufen. Du sähst so ab aus, wir sollen dich nach Hause schicken.
    Mitteldicker Regen, soll Schnee sein, schlägt ins abendliche Gewimmel auf der Dritten und Zweiundvierzigsten, die Bürger drängen einander in die Eingangshalle der Subway, Wind stößt sie in die Nacken, und gemütlich werden sie von links angesprochen. Steht da ein Mann mit Zeitungenstand, wirft Betonungen in die Luft, verschluckt die schwächeren Worte: GOOD EVE ning! It’s a PER fect EVE ning! It’s a PER fect EVE ning for a NEWS paper. We have the LATEST NEWS paper in NEW YORK here! Er ist noch zu hören auf der Niederfahrt in die Höhle der Flushingbahn. Noch haben sie ihn nicht umgebracht. Der mit seiner guten Laune, der ist zugezogen. Umbringen werden sie den.
    Im Gemüsegeschäft sagt der Verkäufer (aus Galizien, 1923 für vier Wochen in Berlin, Berlin hat das beste Speiseeis der Welt): Schöne Sachen haben Sie gekauft heute. Denn die Rechnung ist $ 3,85.
    Amsterdam, dei grote Stadt,
    Is gebut up Pålen,
    Wenn dei nu mål üm eins fallt,
    Wer sall dat betålen?
    Nun ist es doch als Schnee zu erkennen, eine dünne, wässerige Masse, die sich auf Stein nicht hält. Die 96. Straße abwärts sieht aus, als sei da Wasser abgelaufen. Aber der Boden des Parks ist fast durchweg mit weißem Zeug ausgelegt.
    Marie war gekränkt, weil die ungehorsame Mutter bis Dienstschluß in der Bank blieb, statt nach Hause zu kommen. Das

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