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Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Jahrestage 2: Aus dem Leben von Gesine Cresspahl (suhrkamp taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Johnson
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und was für Launen sie zeigten, wo sie die Mäuse hinlegten, und »die Hauskatze hat 32 Zähne«. Fünf.
    – Das höre ich aber gar nicht gern, du!
    – Mir gefällt es.
    – Gesine, warst du wenigstens pünktlich?
    – Wenn ich kam, lächelten manche Lehrer bald, auch über die umständlich ausgedachte Entschuldigung, die ich für höflich hielt. Das war nicht leicht, nicht einmal den Zug aus Jerichow durfte ich sich verspäten lassen, denn Lise Wollenberg war auch damit und pünktlich gekommen. Ein einziges Mal war ich zur Zeit in Gneez, und vor der Zeit. Cresspahl hatte versäumt, die Uhr auf die Winterzeit umzustellen, und ich fuhr nach Gneez zusammen mit vielen schlafenden Männern, die wie im Traum in Gneez-Brücke ausstiegen, zu den Arado-Werken. Sie kamen mir vor wie eine versteckte Armee, und ich habe für mein Leben gewußt, daß sie ungesehen zur Arbeit fahren, ungekannt, und doch behaupten die Regierungen, sie zu kennen. Eine Stunde zu früh stand ich auf den groben Pflastersteinen vor der Schule, und angeschnauzt wurde ich doch, diesmal vom Hausmeister. Pünktlich war ich im Hotel Stadt Hamburg, wo Elise Bock mir das Stammessen (ohne Marken) hinsetzte. Pünktlich war ich am Zug nach Jerichow. Zu spät kam ich oft in den Luftschutzkeller unter dem Hotel Stadt Hamburg. Denn seit dem Angriff auf Hamburg vom Juli 1943 waren sie in Gneez recht eifrig mit dem Alarmgeben, eben wegen der Raketenfabrik, und ich lief in Bestzeiten durch die Straßen, damit ich ja nicht in einen fremden Keller geschubst wurde, immer in Angst vor den Pimpfen, die hinter mir her schrien und Stehenbleiben befahlen. Die Pimpfe waren gefährlich.
    – Gesine, warum war es dir nicht gleichgültig, ob du an einer Bombe starbst oder nicht?
    – Aus Gehorsam gegen Cresspahl. Ich dachte, ich würde ihm zu seinem Leben fehlen. Vergiß es, ich weiß es nicht. Was soll so eine Fangfrage?
    – Du hast doch gelebt wie ein Hund, als du ein Kind warst, Gesine. Bei fremden Leuten zu Mittag essen, ohne Hilfe bei den Schularbeiten, um 6 Uhr aufstehen, mit zehn Jahren!
    – Das war das Leben, das Cresspahl mir eingerichtet hatte. Einrichten mußte. Deswegen war es mir recht. Und wieder hatte ich wählen sollen. Alexandra Paepcke wäre gern mit mir zusammen auf die Kaiserin Auguste Viktoria-Schule in Stettin gegangen, nicht allein, weil die nach den großen Angriffen auf Stettin als Landschulheim nach Rügen evakuiert wurde. Ich hätte Alexandra den Gefallen tun mögen; Alexandra war mein liebstes Kind unter allen. Cresspahl las mir Hildes Brief vor, sah mich an, hatte mich fest. Also wurde ich Fahrschülerin aus Jerichow. Das Essen bei Elise Bock war nicht so gut wie auf dem Fliegerhorst, aber ich war doch Gast in einem Hotel. Cresspahl fragte nach meinen Schularbeiten, nicht nebenbei, und ich sah ihm an, daß ihm das Nachprüfen von Lateinaufgaben nicht recht geheuer war; also erklärte ich sie für erledigt. Er fing damals an, Englisch mit mir zu sprechen. Es sollte mir helfen. Und jeden Morgen saß er vor dem fertigen Frühstück und wartete auf mich, jeden Schultag kam er mit bis an den Bahnhof zum Zug um 7 : 08, er hat mein Schulbrot gemacht und mir obendrein Geld mitgegeben, damit ich in Gneez ein Brötchen mit geschabtem Hering außer der Reihe kaufen konnte –
    – Gesine, du hast gelebt wie ein Hund.
    – Ich hab es gut gehabt.
    – Gesine, warum gibt es nicht Fotografien von dir als Kind?
    – Marie, dein Großvater war ein Handwerker! Wenn seine Frau am Leben geblieben wäre, vielleicht hätte sie sich das Fotografieren von Hilde Paepcke angenommen. Sogar bei Papenbrocks wurde doch ein »Berufslichtbildner« geholt, Horst Stellmann, und nur zu den großen Festen. Und Cresspahl brauchte keine Bilder für seine Erinnerung. Er war sicher in seinem Gedächtnis. Das Fotografieren ging erst mit mir an; ich war die erste von uns, die das Vergessen fürchtete.
    – Die Paepckeschen Fotos. Wo sind sie?
    – Sie sind verdorben, als die Paepckes starben.
    – Erzähl es mir nicht.
    – Nein.
    – Gesine, wie warst du als Kind?
    – Ich glaubte, ich sei dick. Ich schob die Lippen vor. Davon fühlt man sich dicker. Meine Sorgen waren aufgeschürfte Knie, abgerissene Kleidertaschen; ich hatte gelernt, damit selber fertig zu werden. Ich sah die Leute nicht unfreundlich an, aber finster, damit sie mir nicht über den Kopf strichen und mich arm nannten. Ich war kein armes Kind. Ich hatte ein Geheimnis ganz für mich allein, das war mein Vater.
    – Und

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